Kritik des Gegenstandpunktes

Am Donnerstag findet bei den Falken in Jena ein Vortrag zur Kritik des Gegenstandpunktes anhand dessen Kritik der Psychologie statt. Im Zuge dessen dokumentieren wir im folgenden die ungekürzte Version eines Textes unseres Genossen zum Thema, der gekürzt bereits im CEE IEH veröffentlicht wurde:

Kritik des GegenStandpunkts –
Kritik der Grenzen und Härten dieses Denkens

Argumente prüfen und sich einleuchten lassen, sowie das Reden von ‚Zwecken‘, ‚Interessen‘, ‚abstrakter Zugriffsmacht‘ und ‚Tautologien‘, das am Ende meist souverän Recht behält, kennt man heute von der Nachfolgeorganisation der Marxistischen Gruppe: dem GegenStandpunkt. Dieser gibt vierteljährlich eine Zeitschrift heraus und veranstaltet Vorträge, Schulungen und Diskussionsrunden zu gefühlt allen Themen, ob Demokratie, Lohnarbeit, Dummheit, Psychoanalyse, Heidegger oder Kafka. An diesen Gegenständen wird die kapitalistische Gesellschaft und bürgerliches Denken kritisiert. Die Kritik zielt dabei immer inhaltlich darauf ab, die falschen Gedanken Anderer über den Kapitalismus zu korrigieren, indem die sich das vorgetragene Argument einleuchten lassen. Wenn man die Argumente verstanden hat, weiß man dann, woran man bei der jeweiligen Sache ist und was davon zu halten ist. Das macht die Anziehungskraft des GegenStandpunkts aus. Der vorliegende Text beschäftigt sich nicht primär mit dem Inhalt ihrer Kapitalismus- oder Staatskritik (bei der sich übrigens viel Vernünftiges lernen lässt!), sondern mit dem freien Willen und Denken, die ihren Kritiken immer vorausgesetzt sind, die aber selten selbst Thema werden. Hier wird ausgehend von der Kritik des freien Willens (erstens) gezeigt, dass sich Denken nicht konsequent an Widerspruchsfreiheit messen lassen sollte und selbst die Psychologie des GegenStandpunkts nicht ohne (unbemerkte) Widersprüche auskommt. Die Rationalität des GegenStandpunkts hat Konsequenzen dafür, wie er gegen die kapitalistische Gesellschaft agitiert (zweitens) und wie ihm einige gesellschaftliche Härte entgehen muss und wie diese in den Theorien des GegenStandpunkts reproduziert wird (drittens).
Die im Folgenden entwickelte Kritik ist insofern immanent, als der GegenStandpunkt selbst die Intention vertritt, Gegenstände richtig zu bestimmen und die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden.

1. Kritik des freien Willens

Zunächst gibt es auch beim GegenStandpunkt(GSP) all das, womit sich andere Menschen herumschlagen: Grundbedürfnisse, Empfindungen und Gefühle. Das Bedürfnis nach Essen und Trinken sei zum Teil einfach da, auch sexuelle Anziehung könne spontan auftreten. Bei Gefühlen verhalte es sich nach dem GSP anders. Sie seien Urteile des Verstandes, die „zur Gewohnheit geworden sind und sich in unmittelbarer Form, ohne die neuerliche Anstrengung des Gedankens betätigen“[1] Damit ist zum Beispiel das wohlige Gefühl beim Hören der Nationalhymne gemeint, das aus dem Urteil, dass die Nation eine gute Sache für einen ist, resultieren soll.[2] Man fasse also ein Urteil, wie die Welt sein solle (z.B. voll von nationaler Symbolik) und vergleiche dies anschließend mit der Welt. Je nachdem wie der Vergleich ausgehe, empfinde man positive oder negative Gefühle. „Die besonderen Arten des Gefühls – Freude, Furcht, Ärger, Trauer, Zuneigung, Scham etc.– ergeben sich daher aus den beiden Seiten des Vergleichs; dem, was sich das Individuum als erwünschte Lage vorgenommen hat einerseits und der Bewertung der vorfindlichen Situation andererseits“[3] Da die für das Gefühl ursächlichen Urteile zur Gewohnheit geworden seien, brauche es Zeit und Aufmerksamkeit um sie und damit auch das Gefühl zu ändern. Ein wirkliches Hindernis gebe es jedoch nicht, denn seine Urteile könne man auch ändern.
Mit diesem aus Gewohnheit teils ungestümen Wesen des Fühlens sei es allerdings gänzlich vorbei, wenn sich der Wille auf sie beziehe. Dieser stelle sich als Entschluss mit seinen Gründen auch zu Gefühlen und sei als solcher von ihnen unabhängig. Weil der GegenStandpunkt den qualitativen Unterschied von Gefühl und Entschluss und deren möglichen Gegensatz bemerkt, gilt ihnen der Wille als vollkommen selbstständig. Er könne nicht von dem bestimmt sein, worauf er sich beziehe.[4] Was das Individuum wolle, sei höchstens davon abhängig, mit welchen Gründen und Urteilen es sich zu eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und der Außenwelt stelle. Darin seien das Denken und der Wille frei. „Ich will und dadurch, dass ich sage: ‚ich will‘, will ich irgendwas. So simpel ist das. Man muss sich das wirklich auch so tautologisch denken. Der freie Wille ist nur dieses, dass ich einen Inhalt will.“[5] Es sei man selbst, der etwas wolle und in einem selbst gebe es keinen Zwang, der den Inhalt des Willens vorschreibt. Damit ist der Wille nicht durch etwas anderes bedingt, sondern eben nur er selbst: „Ich will …“ Soweit die Position des GSP.
Es gibt natürlich Gefühle, die sich durch bestimmte Urteile ergeben (z.B. nationale Ergriffenheit) und auf viele Gefühle kann man durch Gedanken und Urteile einwirken, aber es ist verkehrt anzunehmen, dass der Ausgangspunkt von jedem Gefühl ein bewusstes Urteil war. Das Gefühl von Scham tritt bei einem Mensch nicht nur auf bei „Abweichung seines Tuns von einer von ihm gebilligten Pflicht, was ein mit moralischen Maßstäben ausgestattetes Individuum voraussetzt“, sondern vor Allem bei Abweichung seines Tuns von einer von anderen gebilligten Norm. Und die eigene Billigung der Maßstäbe geschieht auch erst einmal aus Angst vor der Verachtung der Anderen und nicht als freie Entscheidung des Kindes, welches „moralische[] Forderungen als berechtigte anerkennt und sein Sträuben gegen sie aufgibt“[6] . Nach dieser frühen Internalisierung könnte man sich als Erwachsener nicht einfach völlig gegen Moral und das Schämen entscheiden. Und umgekehrt lässt sich doch bei sozialisierten Menschen vielmehr beobachten, dass hier eher das Gefühl von Scham und Abscheu Ursprung von Urteilen ist. Bei Norbert Elias[7] findet sich beispielsweise auch die Auskunft, dass Benimmregeln für den Tisch erst lange nach ihrem Entstehen nachträglich mit Hygiene rationalisiert wurden. Vorher finden sich als Begründungen Verweise darauf, dass abweichendes Verhalten unedel sei oder Anderen peinlich sein könnte, was immer schon die Verbreitung von Tischregeln voraussetzt. Diese Art von Scham kann also ihren Grund nicht darin haben, dass Menschen hier plausible Urteile über Essverhalten übernahmen.
Die strikte Trennung von Bedürfnissen und Gefühlen auf der einen und einem sich auf sie beziehenden Willen auf der anderen Seite trifft die Wirklichkeit nicht trifft. Die Angst vor Scham oder auch z.B. der Wunsch nach Anerkennung und Liebe gehen nur zu oft einfach in Urteil und Wille über. Wenn sie selbst zu einem bewussten Willen werden, können sie dann aber auch reflektiert und als begriffliche Urteile gefasst werden. Diese unterscheiden sich qualitativ vom begriffslosen Wunsch. Auf diese Differenz von Gefühl, Wunsch und Bedürfnis auf der einen Seite und Wille, Denken und Urteil auf der anderen pocht der GSP. Diese Trennung ist aber primär eine analytische, in der Wirklichkeit ist der Übergang fließend. Die analytische Reflexion auf das Verhältnis von Wunsch bzw. Fühlen und Wille schafft in der eigenen Psyche erst eine gewisse Trennung. Diese wird vom GegenStandpunkt nicht mehr als hergestellte und instabile, sondern als Naturzustand der menschlichen Psyche verstanden und damit absolut gesetzt.
Zudem zeigt sich an der Möglichkeit, sich auch gegen einen Wunsch zu entscheiden, für den GSP die allgemeine Freiheit des Willens. Dabei handelt es sich in diesen Fällen auch nicht um völlige Unabhängigkeit und Freiheit der Entscheidung. Jeder Wille, der sich gegen einen eigenen Wunsch richtet, muss ebenfalls erst einmal den Wunsch reflektieren und benötigt außerdem eine bestimmte Kraft, umso größer, je größer der zu unterdrückende Wunsch ist. Diese Kraft muss dabei selbst durch andere Wünsche unterstützt werden und ist nicht einfach frei. Die teilweise Unabhängigkeit und Freiheit des Willens, die ihm zweifellos zukommen, entspringt in ihrer Entstehung selbst nur dem Wunsch, Unlust zu reduzieren und Lust zu erleben. Daher kann sich der Wille auch praktisch nicht völlig von seinem Vater – dem Wunsch – frei machen. Er bleibt bei aller Eigenständigkeit sein Kind. Es müsste einen andernfalls geradezu wundern, dass sich nicht die Hälfte der Menschen pauschal für und die andere pauschal gegen das Leiden entscheidet, zumal es ja weder dafür noch dagegen irgendeinen inhaltlichen Grund gäbe. Aber auch so etwas wie das Streben nach angenehmen Empfindungen und das Vermeiden von unangenehmen kennt der GSP nicht mehr, denn bei freien Willensakten gibt es kein Allgemeines.
Die Kritik am freien Willen bis hierhin bezieht sich stark auf eigene Erfahrung, was eigentlich kein Mangel ist, sofern diese Erfahrung nicht nur individuell, sondern auch Anderen an ihrem Selbst zugänglich ist. Nun würde aber der GSP diese nicht als Argument gelten lassen, weil er die Erfahrung bei Anderen als falsche Deutung ihrer freien Willenstätigkeit kritisieren würde und außerdem dessen Allgemeinheit bestreiten würde. Daher scheint es sinnvoll hier neben Erfahrung auch noch auf empirische Ergebnisse der Psychologie zu verweisen, die zeigen, dass Gefühle nicht nur Resultat, sondern auch Ursache von Urteilen sein können. Beispielsweise lassen sich Personen eher von einer Meinung überzeugen, wenn sie dabei leckeres Essen bekommen[8] und sie sind eher geneigt Botschaften eines Folk-Songs zu zustimmen, wenn dieser von Gitarrenmusik begleitet wird.[9] (In praktischer Hinsicht kennen die Vertreter des GSP übrigens diese Mechanismen schon auch, zumindest vorbewusst, und bedienen sich gern Witzen und Spötteleien in ihren Vorträgen.) All diese Vorgänge vollziehen sich in der Regel ohne das Bewusstsein, obwohl es bei den genannten Beispielen noch denkbar wäre, dies zu reflektieren und damit bewusst zu machen. Dagegen gibt es jedoch auch Wünsche und Ängste, die nicht einfach bewusst gemacht werden können. An dem Beispiel der posthypnotischen Suggestion kann man ihre Wirkung aber veranschaulichen: Personen wird in Hypnose z.B. der Auftrag erteilt, nach der Hypnose eine Vase auf dem Tisch zu verrücken. Nach der Hypnose können sie sich nicht mehr an den Auftrag erinnern, führen ihn aber gleichwohl aus und geben dafür auf Nachfrage eine Rationalisierung an: „Ich wollte, dass die Vase in der Mitte des Tisches steht.“ Hier und bei den vorherigen Beispielen zeigt sich, dass unreflektierte Wünsche, Stimmungen oder Motive sich nicht trotz, sondern gerade durch den bewussten Inhalt der Gedanken durchsetzen können. Der Hinweis vom GegenStandpunkt darauf, dass Menschen mit Willen und Bewusstsein bei ihren Tätigkeiten sind, ist also kein Einwand gegen die Wirkung von vor- und unbewussten Wünschen und Ängsten.
Aus Erfahrung und Empirie geht bis hierhin hervor, dass der Wille bedingt ist durch Wünsche, Ängste, Gefühle und Stimmungen und als bedingter Wille nicht frei ist. Als bedingter Wille ist er Ausdruck von etwas Anderem und es kommt daher nicht primär auf den konkreten Inhalt und seine Gründe an. Indem die bürgerliche Psychologie in ihren empirischen und verstehenden Formen (z.B. Psychoanalyse) darauf hinweist, widerlegt sie das Willenskonzept des Gegenstandpunktes. Andererseits können menschliche Entscheidung und Wille das Resultat von inhaltlicher Überlegung, Reflexion und dem Abwägen von Möglichkeiten sein. Man kann etwas verstehen und anders denken und dadurch das eigene Fühlen und Handeln verändern. Insofern kommt es auf den Inhalt des Willens und seine Gründe an und dieser ist nicht bedingt und damit frei. Indem der Gegenstandpunkt auf diese Freiheit hinweist, widerlegt er den psychologischen Determinismus. Der GSP und die Psychologie widersprechen sich und behalten darin beide gegeneinander Recht. Der Widerspruch zwischen Nichtbedingtheit und Bedingtheit des Willens, zwischen Freiheit und Unfreiheit liegt in der Wirklichkeit. Denken und Wille hat ein Moment von Freiheit und von Unfreiheit. Diese sind so sehr in einander verwoben, dass sie nicht völlig in zeitliches Nacheinander von Freiheit und Unfreiheit oder ein Nebeneinander von unfreien und anderen freien Bewusstseinsakten aufgelöst werden können.. Auch wenn Reflexion ein größeres Maß an Freiheit bedeutet, setzen sich auch darüber Wünsche durch und auch wenn Projektion ein größeres Maß an Unfreiheit bedeutet, ist auch im Umgang damit die freie Entscheidung der Person beteiligt. Weil der Gegenstandpunkt auf der Widerspruchsfreiheit der Theorie beharrt, können sie diesen Widerspruch in der Wirklichkeit nicht theoretisch fassen. Daraus ergeben sich die beschriebenen Unstimmigkeiten bei der Einordnung der Wirklichkeit in ihre Theorie.
Noch größere Probleme bedeutet es für eine widerspruchsfreie Theorie des freien Willens Bewusstseinsvorgänge zu erklären, die dem Individuum als fremd und aufgezwungen erscheinen und damit auf Triebe, Wünsche und Ängste außerhalb des bewussten Teils der Psyche verweisen. Im folgenden wird kurz das Verständnis des GSP zu Phobien und Psychosen dargestellt:
Viele Menschen scheitern im Kapitalismus. Das bürgerliche Individuum sei jedoch „Aktivist des erfolgreichen Anstands“ und das bedeutet auch, dass man sich schämt, wenn man nicht mit Anstand erfolgreich ist. Statt sich zu schämen, würden sich manche lieber subjektive Gründe suchen, um ihr Scheitern vor sich und anderen zu entschuldigen. „Ja ich kann nicht, weil… und dann muss irgendein Scheiß kommen, ein völlig frei erfundener Grund.“[10] Da der Wille ja frei sei, kann man sich da munter etwas aussuchen. Tierphobiker haben dann Angst vor Mäusen oder Spinnen, um eine Entschuldigung für das Scheitern bei Prüfungen und Lohnarbeit zu haben, wo sie es ohnehin nicht gebracht hätten. „Ein Mensch kann zum Beispiel sagen, er kann sich nicht auf die Prüfung vorbereiten, er kann nicht denken, weil er fürchtet sich vor Spinnen und weiß nicht, ob nicht eine im Raum ist.“ Diese Konstruktion hat jedoch noch den Mangel, dass man damit nur Andere aber nicht sich selbst täuschen kann. Dazu brauche es einen weiteren Schritt: „Wenn man sich dazu entschließt, Angst vor Spinnen zu haben, dann glaubt man sich das selber nur, wenn man sie auch hat, dann hat man sie aber auch.“[11] Die erfundene Angst tritt einem, nachdem man sich für sie entscheiden hat, dann doch in der eigenen Psyche als fremd gegenüber und man kann sich die eigene Entschuldigung für das Versagen glauben und sich sogar aufwerten, weil man es so schwer hat.
Der Psychotiker treibe es sogar noch toller. Um in der realen Welt nicht mehr in dem Bedürfnis nach Anerkennung der eigenen Besonderheiten enttäuscht zu werden, halte er sich fortan für Napoleon oder den UNO-Chef. So verschaffe er „dem eigenen Bild von sich und der Welt lauter praktische Triumphe über die Objektivität“[12] und kreiere sich eine Welt, in der es endlich einmal völlig um ihn gehe. „[E]r macht sich mit Erfolg verrückt.“[13] Auch der Entschluss sich „nicht länger von den Kriterien der Vernunft […] bestimmen zu lassen“[14] lege Zeugnis vom freien Willen ab. Und da man sich zur Phobie oder zur Psychose aus freien Stücken entschieden habe, helfe da keine Therapie, sondern eben nur erneut der freie Wille: „Es ist natürlich auch ein Akt ihrer Freiheit, es einfach zu lassen und das muss man jedem empfehlen. Seine Macken, die soll man einfach lassen. Aus. Mehr kann man da nicht machen.“[15] Soweit der GSP.
Im Alltag können viele Menschen meist noch irgendeinen Grund dafür angeben, warum sie irgendetwas tun, auch wenn dies mitunter nur Rationalisierungen anderer Motive sind. Den Entschluss Phobiker oder Psychotiker zu werden und die Gründe, die laut dem Gegenstandpunkt zu dieser Entscheidung führen, kann wohl niemand angeben. Klar, denn wenn man wüsste, dass die Angst nur eine Entschuldigung fürs Scheitern sein soll, hätte man keine Phobie mehr und wenn man sich der Kalkulation, sich von der Wirklichkeit und der Vernunft zu verabschieden, bewusst wäre, dann wäre man nicht psychotisch. Damit Phobie und Psychose trotzdem als Willensakte gedacht werden können, muss der GSP so verfahren, wie er es der Psychologie sonst vorwerfen würde: er muss den freien Willen hinter dem Fühlen und Denken der Menschen konstruieren. Diese Konstruktion entspringt einer Hilflosigkeit im Erklären, was Peter Decker selbst für die Phobie zu Protokoll gibt: „Man kann keine Angst vor Mäusen haben. Wenn man Angst vor Mäusen hat, dann hat man sich da offensichtlich was gewählt, was man für ein echtes Hindernis zu halten beliebt, weil es ist ja nicht so. Und wenn’s nicht so wäre, dann frag ich mich ja wirklich, wo der Reiz von dem Scheiß liegen soll.“[16] Die Gründe, die sie für diese Willen dabei annehmen, treffen nun weder das, was in den betroffenen Menschen vorgeht, noch sind sie an sich plausibel. Nicht jeder Phobiker geht mit seiner Angst hausieren und nicht jede Phobie beeinträchtigt überhaupt das eigene Funktionieren, so wenig wie beleidigende Stimmen und Angst bei einer Psychose einem Anerkennung verschaffen. Und wenn man wirklich nur das eigene Scheitern entschuldigen wollte oder Anerkennung ernten, dann könnte einem wirklich etwas besseres einfallen. Bei dem Versuch psychische Phänomene, die jenseits der Rationalität liegen, rational zu erklären, verstrickt sich der GSP somit selbst in Irrationalitäten.
Auch bei dem Versuch dem Willen dabei Freiheit unterzuschieben, resultiert aus ihrer Erklärung am Ende doch wieder Unfreiheit, wenn man die Theorien konsequent zu Ende denkt: Bei Phobikern müsste der Wille, Angst zu haben, und die Gründe dafür vergessen werden. Denn solange ich diesen Willen und die Gründe kenne, ist es nur Heuchelei, aber keine Phobie. Der Wille müsste also unbewusst weiter wirken. Nun ist aber der Wille ein Akt des Bewusstseins und nicht des Unbewussten. Mit dem Übergang ins Vergessen oder Unbewusste, wäre er also nicht länger Wille, sondern das dem Willen Fremde. Wenn der eine Wille unbewusst wird und trotzdem weiter als Angst und damit Zwang das Subjekt beherrscht, verliert damit auch der Wille, der bewusst bleibt und sich seinem unbewussten Bruder beugen muss, den Charakter der Freiheit, die dem Gegenstandpunkt für den Willen selbstverständlich ist. Er wäre von einem früheren freien Willen beherrscht, den er, da er vergessen ist, nicht mehr ändern kann. Bei Psychotikern verhält es sich ähnlich: Sie sollen sich frei entscheiden, sich nicht mehr der Vernunft zu beugen und sich dafür Wahn und Halluzinationen unterwerfen. Unter Wahn und Halluzination wären sie aber in ihrem verrückten Willen nicht länger frei, sondern von den Resultaten ihres früheren Willens beherrscht. An diesen könnten sie aber (nachdem sie sich von Vernunft verabschiedet haben) gar nicht mehr herankommen. Ein Psychotiker könnte nicht wissen, dass er sich gerade nur eine Welt nach seinem Gusto erschafft. Dann wäre er nicht mehr psychotisch. Daher ist es falsch zu behaupten, dass bei Psychosen „die Rückkehr zur Vernunft nur die Leistung seines Willens sein kann“[17]. Der Psychotiker wäre demnach auch beherrscht von seinem früheren freien Willen, den er nun nicht mehr ändern kann.
Bei der Erklärung von alltäglichem Fühlen, Wünschen und Wollen fügt sich die eigene und die fremde Erfahrung durch die eigene Rationalisierung beim Gegenstandpunkt noch mit einiger Gewalt in die Theorie des freien Willens ein. Bei den zuletzt beschriebenen klinischen Phänomenen kann dies nicht mehr vollständig gelingen. Weil bei Phobien und Psychosen der Zwang im Wollen und Denken so sehr gegenüber der Freiheit überwiegt, muss eine Theorie, die nur die Freiheit gelten lassen will, hier selbst zu Widersprüchen führen. Der Widerspruch von Freiheit und Unfreiheit des Willens, der in der Wirklichkeit liegt, wiederholt sich hier in ihrem Versuch, diese Wirklichkeit ohne Widersprüche zu erklären.

2. Grenzen der GegenStandpunkt-Agitation

Der Fehler des freien Willens und Denkens setzt sich fort in dem Verständnis von Erkenntnis und der daraus folgenden Vermittlungsart von Kritik. Weil der GSP Freiheit immer schon als gegeben unterstellt, entgeht ihm, dass Freiheit im Denken und Entscheiden etwas ist, dass erst durch Reflexion zu stärken wäre.
Der GSP scheidet einfach analytisch zwischen erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt, so wie er zwischen Wille und dem Gefühl, auf das sich der Wille bezieht, scheidet. Das Subjekt beziehe sich in seinen Urteilen auf die objektive Welt. Damit könne es nicht durch diese bestimmt sein. „Das Subjekt ist das Subjekt und die Welt ist die Welt.“[18]
Da sich aber die eigenen Wünsche auf äußere Objekte in der Welt beziehen und man eigenen Wünschen gegenüber nicht einfach frei ist, kann man auch der Welt nicht einfach als distanziertes Subjekt entgegentreten. Die relative Distanz des Subjekts vom Objekt, die sich im Laufe des Lebens und abhängig von äußeren Impulsen entwickelt, hat ihren Grund gerade in der eigenen, wünschenden und leidenden Betroffenheit von äußeren, gesellschaftlichen Ereignissen. Das Subjekt löst sich dabei nur von ihnen los, weil es sich nicht völlig von ihnen loslösen kann. Wie man sich mit dem Willen teilweise frei von eigenen Wünschen macht, macht man sich in der theoretischen Betrachtung der Welt teilweise frei von der persönlichen Betroffenheit, gerade weil man eigenen Wünschen und der eigenen Betroffenheit praktisch Geltung verschaffen will. Man will mit der Welt gemäß eigener Interessen vernünftig umgehen können. Ähnlich einer distanzierten Entscheidung braucht es aber auch hier einen Kraftaufwand, um Abstand zu nehmen von der Welt, wie sie einem unmittelbar als Bezugspunkt von eigenem Handeln, Wünschen und Leiden in der persönlichen Wahrnehmung erscheint. Von dieser gewordenen und relativen Distanz aus kann man die unmittelbare Erscheinung gedanklich durchdringen. Man begibt sich in der Reflexion nach „außen“ und betrachtet die Dinge in ihrem Gewordensein und ihrer Beziehung zu einander, in ihrem Verhältnis zum Ganzen.
Da die kapitalistische Gesellschaft ihren Mitgliedern Tag für Tag das vereinzelte Zurechtkommen in ihr abverlangt, verkümmert eben diese Möglichkeit von kritischer Distanz und Reflexion als unfunktional. Je mehr die Menschen aufs Funktionieren festgelegt werden, desto mehr versperrt sich ihnen die Einsicht in dessen Irrationalität. Die Warenproduktion der Anderen und ihre eigene Lohnarbeit garantieren ihnen das Überleben, der Staat ihren Schutz in der Konkurrenz und vom Erfolg der Nation hängt ihre Lebensqualität ab (zumindest, wenn er ausbleibt). Und zu diesen objektiven Abhängigkeiten, die auch der GSP kennt, mischen sich viele psychologische: der Sinn der eigenen Arbeit und die Anerkennung dafür, das Gefühl von Sicherheit durch einen starken Staat, das Gefühl von Kollektiv, Nähe und Identität in der Nation. Insofern sich also Wünsche an die bestehende Gesellschaft binden, ist man nicht einfach frei darin, wie man sich gedanklich zu ihr stellt. Die Affirmation der bürgerlichen Gesellschaft, auf die der Gegenstandpunkt in der Agitation von Leuten in der Regel stößt, ist keine, die getrennt vom Mitmachenmüssen zu ihm als gedankliches Urteil hinzutritt und sich frei auf es bezieht. Die unreflektierte Zustimmung zu den Verhältnissen ist die Identifikation mit dem übermächtigen gesellschaftlichen Apparat, an dem die materiellen und psychischen Bedürfnisse hängen. Weil die Realität so abgeschlossen gegen die Individuen ist, können sie sich nicht mehr vorstellen, dass es anders sein könnte. Somit ist das falsche Bewusstsein notwendig.
Der Hinweis vom GSP, dass es nicht notwendig sein kann, weil es ja Menschen gibt, die sich gegen die Verhältnisse stellen, geht fehl, weil sich jedes kritische Bewusstsein erst durch Reflexion aus der Notwendigkeit befreien musste und auch als Kommunist_in, der_die irgendwie im Kapitalismus funktionieren muss, ist man bei aller Reflexion nie ganz frei. Der Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Freiheit im Urteil über die Welt folgt aus dem Widerspruch zwischen Freiheit und Befangenheit des Willens gegenüber den Wünschen mit denen man sich zur Welt stellt. Die Widerspruchsfreiheit des Gegenstandpunktes erlaubt es nicht diesen realen Widerspruch zu registrieren.
Neben der Unfähigkeit zu kritischer Distanz spielt weiterhin Unlustvermeidung eine Rolle bei der bejahenden Stellung zur Welt. Das fällt sogar dem GSP auf: „wenn ich festhalten will an der [gesellschaftlichen] Rolle, die ich hab, wenn ich auf die setzen will und mir dann zurechtlegen will, dass ich kein Depp bin, wenn ich das tue, dann muss ich Fehler machen. Mehr Müssen ist es nicht.“[19] „Es gibt keinen Grund, warum man sich nicht einen richtigen Gedanken machen sollte. Außer dem: Dann bekommt die eigene Praxis nicht mehr recht.“[20] Wenn ich mir bewusst die Welt so zurecht dichte, dass ich in ihr nicht als Depp dastehe, dann klappt das nicht, wie bei Phobie oder Psychose. Also dürfte der Wille nicht bewusst sein, was für den GSP paradox wäre, weil man ihn dann nicht durch einen bewussten Entschluss sein lassen kann. Wenn sich der Wille zum Mitmachen außerdem in einer illusorischen Weltsicht noch seine eigenen Gründe schafft, indem er sich die Welt zur Chance erklärt, dann stellt sich die Frage, wie man überhaupt an diesen Willen noch herankommt und die falschen Gedanken, die er produziert, noch korrigiert. Diesen Willen, sich nicht als ohnmächtiges, austauschbares und ausgebeutetes Mittel von Staat und Kapital zu sehen, der sich hier dann doch in die Gedanken mische, könne man widersprüchlicher Weise laut GSP dann doch auch einfach sein lassen und sich objektiv an die Erkenntnis der Welt machen. Dass das möglich ist, sehe man z.B. am GSP selbst. Dabei unterschlagen sie, dass dies nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt über Reflexion und auch Enttäuschung von Wünschen, die nicht bloß Gedanken sind, möglich ist. In der Einleitung von „Die Psychologie des bürgerlichen Individuums“ findet sich der Hinweis, „daß das hier analysierte moralische Bewußtsein und die von ihm erfundenen Techniken der Moral nichts weiter darstellen als die Formen, in denen sich die Individuen an der bürgerlichen Herrschaft abarbeiten, um sie auszuhalten“.[21] Darin steckt die Ahnung, dass sich im Ja-Sagen zum Kapitalismus mehr als der freie Wille und falsche Urteile betätigen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den folgenden Kapiteln und der restlichen Theorie des GSP und spielt in der Praxis keine Rolle.
Zu dem Irrtum, dass kommunistische Kritik für eigene Interessen zweckrational ist (siehe Exkurs am Ende), mischt sich in der Agitation der Glaube, man müsste nur lange genug über Inhalte reden und „verkehrtes Mittelwissen“ kritisieren, dann würden Menschen schon umdenken: „Prüf‘ doch mal das Argument!“
Ebenso entgeht es dem GSP, dass sich auch in den eigenen Reihen mehr als bloße Gedanken betätigen. Auch in ihren Gruppen geht es Leuten um Anerkennung und moralische Aufwertung und das Gefühl von Souveränität. Aber: „Man müsste schon sehr bescheuert sein, diese Allerwelts-Sehnsucht auf eine so umständliche Weise zu betätigen“[22] und daher verbinden sich diese Motive beim GSP auch mit dem Bedürfnis, sich die Welt zu erklären. Diesem kommt der GSP mit einer fertigen und umfassenden Theorie auch sehr gut entgegen, als „ein politisches Magazin, das [einen] periodisch vom Fortschritt der äußeren Mächte unterrichtet und klarstellt, was man davon zu halten hat“.[23] Gleichzeitig werden individuelle Wünsche und Gruppendynamiken bei den Treffen durch das ständige Abprüfen an ihrer freien Entfaltung gehindert. Trotzdem geschieht es noch oft, dass das „Lernen von Argumenten“ zum Mittel der Anpassung wird und damit Kritik dem Subjekt äußerlich, austauschbar und ohne Beziehung zu eigenen Erfahrungen bleibt.
Aber es wäre verkehrt zu leugnen, dass der Gegenstandpunkt nicht über die Kritik von konkreten Inhalten auch zur Entwicklung einer von Inhalten teilweise unabhängigen Fähigkeit zu Reflexion und Kritik beiträgt. Zudem befindet sich die vermittelte Kritik inhaltlich meist auf einem hohen Niveau. In ihrem Denken liegt aber gleichzeitig auch die Tendenz, Unmündigkeit und vorbewusste und unbewusste Wünsche nicht zu reflektieren und diesen damit nicht entgegen zu wirken. Diese beiden gegenläufigen Tendenzen treffen sich nicht zufällig beim Gegenstandpunkt, sondern sie sind in dem Prinzip ihres Denkens gleichermaßen angelegt: Indem sie nur vernünftiges, widerspruchsfreies und daher einstimmiges Denken gelten lassen, schaffen sie die Grundlage für Mündigkeit. Die reale Unfreiheit des Denkens, die der Mündigkeit real entgegensteht, muss dabei ihrer einstimmigen Rationalität entgehen. Indem sie auf der Freiheit des Denkens beharren und den Widerspruch der Unfreiheit aus der Theorie verbannen, kann er sich in der Wirklichkeit umso ungestörter gegen die Freiheit geltend machen.

3. Kritik der harten GegenStandpunkt-Rationalität

So wie sie diese Unabhängigkeit des Denkens immer schon voraussetzen, setzen sie auch die Härte voraus, die notwendig ist, um sich in dieser Weise von eigenen Wünschen, Gedanken und äußeren Objekten zu distanzieren. Da sie Fühlen und Wünschen nicht als dem Denken vorgelagert akzeptieren und es schlicht zu dem Produkt von Verstandes- und Willensurteilen reduzieren, zu etwas, womit der Verstand dann unabhängig umgehen könne, springen sie bei sich und Anderen auch nicht anders damit um, als man es mit anderen Aussagen tut: man prüft und kritisiert. „Bürgerliche“ Liebe erscheint dann einfach als Zumutung an die andere Person, weil das Individuum hier als ganzes für alle Eigenschaften geliebt werden will[24]. Die Handlungen und Gedanken des liebenden Individuums werden dann auch an ihrem Wahrheitsgehalt blamiert: Das liebende Individuum „führt sich allen Ernstes und im Widerspruch zu allem Augenschein so auf, als ob sein ganzes Leben von der Erfüllung abhinge, die ihm sein Gspusi [bayr: Verhältnis] zuteil werden lässt bzw. Vorenthält.“[25] Ebenso ergeht es dem Bedürfnis nach Sinn[26], Moral[27] und auch dem Glück: „Das Streben nach Glück ist nämlich kein Interesse, sondern schon wieder eine totalisierende Philosophie[…]“ Geben könne es nur konkrete Befriedigungen, aber nicht Befriedigung überhaupt: „Jeder Zweck befriedigt nur das Interesse oder Bedürfnis, dem er sich eben verdankt.“[28] Kritisiert wird auch das Bedürfnis nach Anerkennung als inhaltsleer, weil es nicht mehr die Befriedigung bestimmter Interessen, sondern die Anerkennung als Person überhaupt und unabhängig der wirklichen Interessen wolle. Dementsprechend sind dann auch alle Kränkungen, Demütigungen und Nichtachtungen einfach nur verkehrte Deutungen des moralischen Individuums, denn dabei gibt es ja keinen materiellen Schaden. „Warum soll man denn einen anderen Menschen nicht anschreien? Da tut man ihm doch nichts.“[29]
Die Härte, einer inhaltichen Kritik an dem, was nicht einfach nur Inhalt eines Gedankens ist, zeigt sich dann besonders deutlich am Abhandeln von psychischen Problemen durch den GSP. Auch hier wird geprüft und inhaltlich kritisiert: „Solange sich die Geschädigten der bürgerlichen Ordnung als lauter kleine ‚Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse‘ aufführen, haben sie logischerweise auch Gegenstand der Kritik zu sein.“[30] Diese Kritik sieht folgendermaßen aus: „[D]ie ‚Defekte‘, welche bürgerliche Individuen sich anerfinden“ um damit Anerkennung zu bekommen und bestenfalls zu erreichen, dass Andere „einen als exquisiten Problemfall würdigen und mit ins Bett nehmen“[31], sind für den GSP nur kalkulierende Heuchelei des moralischen Individuums. Deswegen sollte man den leidenden Menschen einfach „eines idiotischen Umgangs mit seinen Rechten und Pflichten beschuldigen“ und ihn nicht therapeutisch „dafür entschuldigen, daß er so bescheuert durch die Welt tigert.“[32] Für „die Idiotien des gewöhnlichen, an sich leidenden und allerlei solipsistischen Schwachheiten gewogenen Verstandes“ haben sie kein Verständnis. „Die ‚gesellschaftlichen Verhältnisse‘ jedenfalls sind es nicht, die dem Selbstmörder die Hand führen“, dafür brauche es schon die „moralische[] Spinnerei des bürgerlichen Individuums“.[33] Nur das objektive, materielle Leiden unter den Zwecken von Staat und Kapital lässt sich ableiten, folglich muss für den GSP der Rest eine bürgerliche Erfindung sein, die der Revolution im Wege steht: „Das [psychische Leiden] soll man lassen und sich gefälligst für die wirklichen Kräfte der Welt interessieren, das ist bedeutsam genug.“[34]
Bei dem Versuch, Menschen mit psychischen Problemen zur Vernunft zu bringen, scheint es dem GSP nicht nur rational um Inhalte, sondern gleichzeitig auch um eine Abwehr des Irrationalen zu gehen, das man bei sich selbst nicht kennen will. Vielleicht erinnert das fremde Leid an die eigene Zurichtung, die es bedeutet, sich ein rationales, prüfendes und zwecksetzendes Ich zuzulegen, welches als Ideal hoch gehalten wird. Dass die Subsumtion unter Denken und Wille immer vollständig gelingt, setzt voraus, dass das Ich die äußerste innere Festigkeit entwickelt hat. Um den Anforderungen der Außenwelt zu entsprechen, musste es mühsam lernen, eigenes Triebleben und eigene Wünsche zu beherrschen und sich als Wille von ihnen abzutrennen, sowie die äußere Welt auch als von sich getrennte wahrzunehmen, auf die man zweckmäßig einwirken kann. So wie diese Anforderungen gesellschaftlich bestimmt sind, ist auch das isolierte, rationale, zwecksetzende Individuum durch Gesellschaft bestimmt. Das Resultat erscheint dem GSP jedoch nun als Unmittelbarkeit des eigenen Bewusstseins nicht mehr als gesellschaftlich Vermitteltes, sondern als überhistorisch, womit seine Entwicklung geleugnet werden kann, die eine Geschichte von Versagung ist.
Als rationalisierte Leugnung des eigenen Leidens könnte es jedoch nicht so gut funktionieren, wenn es nicht rational wäre. Beim GSP hat es insofern immer auch inhaltliche Gründe, warum gesellschaftliche Härte reproduziert und nicht erkannt wird, sofern sie sich nicht in handfestem Zwang durch Staat und Kapital zeigt. Einmal geworden und beim GSP gänzlich zum System verfestigt kann sich diese Vernunft nicht mehr als gewordene erkennen ohne gegen ihr eigenes Prinzip der Widerspruchsfreiheit zu verstoßen. Denn es ist ein Widerspruch mit Denken zu erkennen, dass Denken und das Subjekt, das denkt, gesellschaftlich bedingt sind, weil in diesem Gedanken das Denken und das Subjekt einmal als Wahrheit erkennendes mit absolut gültigen Gesetzmäßigkeiten und einmal als relatives und von Gesellschaft abhängiges vorkommen. „Die zu prüfende Sache kann nicht zugleich Prüfinstanz sein.“[35] Außerdem kann auch keine widerspruchsfreie Entwicklung des freien Willens und Urteilens gedacht werden, denn selbst, wenn das Subjekt am Ende seiner Entwicklung völlige Autonomie erlangte, lässt sich auch diese nicht ohne Widerspruch denken, denn zumindest für den Zeitraum der Veränderung müsste es eine Gleichzeitigkeit von Freiheit und Unfreiheit geben. Entsprechend der Logik müsste aber gelten: entweder der freie Wille ist oder er ist nicht und nicht beides oder etwas dazwischen. Selbst die Übernahme der elterlichen Moral durch Kinder erscheint dem GSP daher rückblickend notwendig schon als freier Entschluss (vgl. oben). Genauso wenig kann vom GSP ein gesellschaftlicher Einfluss auf die Trennung von Subjekt und Objekt gedacht werden, denn auch hier gilt: entweder die Trennung ist oder sie ist nicht. Es kann keine einzige gesellschaftliche Prägung des Subjekts mehr gedacht werden, denn diese verträgt sich nicht mit der gedanklichen Souveränität. Und der GSP weiß, dass wenn das Eine ist, kann nicht das Andere sein: „wenn es so ist, dass die Menschen die Gesellschaft selbst machen […] dann sind sie nicht geprägt oder determiniert durch die Gesellschaft, dann sind sie ja die Subjekte dieser Verhältnisse. Oder es stimmt die Aussage, die Menschen sind geprägt durch die Gesellschaft, […] dann haben sie aber die Umstände, die sie prägen nicht selbst gemacht.“[36]
Angesichts dieser notwendigen Widersprüche ist es für die Entweder-Oder-Logik des GSP konsequent, sich nicht damit zu beschäftigen. Es lässt sich nicht rational und sauber ableiten und eine Ableitung ist für den Gegenstandpunkt „ganz dasselbe wie die Erklärung einer Sache“[37]. An dem Verhältnis von Wille und Wunsch sowie dem von Subjekt und Objekt und der Rationalität des Denkens können sie Gesellschaft, nicht mehr erkennen. Der Kapitalismus ist beim GSP nur noch außen: „Der Genuss der Lektüre [GSP] ist keiner des ‚Selbst‘; immerhin aber garantieren wir: das schöne Gefühl zu wissen, dass der Feind von außen kommt und nicht von innen![38]
Wenn der GegenStandpunkt nicht – der Widerspruchsfreiheit zuliebe – jede Reflexion aufs Subjekt unterlassen würde, könnte ihm auffallen, dass der eigene Blick auf die Welt dem des ‚Feindes‘ nicht ganz unähnlich immer schon ein wenig auf Verwertung schielt. Stattdessen weiß er, „[d]ass das Abstrahieren des Verstandes zur Natur des Denkens gehört“.[39] ,Die Aussage von der Natur des Denkens blamiert sich aber daran, dass es überhaupt keine einheitliche ‚Natur‘ des Denkens gibt und außerdem bei animistischem Denken indigener Völker, sowie bei Kindern vom Satz der Identität und Abstraktionen nicht viel zu sehen ist. Und auch wer zu logischem Denken in der Lage ist, muss eine Anstrengung dafür aufwenden, dabei Wünsche und Assoziationen zu unterdrücken. Zumindest im Witz und im Traum machen sie sich jedoch auch noch bei jedem rationalen Subjekt bemerkbar. Im Hinblick auf sein gesellschaftliches und individuelles Zustandekommen ist logisches, abstraktes Denken nichts selbstverständliches. Gleichzeitig ist rationales Denken aber auch nicht einfach psychologistisch und gesellschaftlich aufzulösen als Produkt von Herrschaft über sich selbst, die durch äußeren Zwang entsteht. Der Gedanke, dass von zwei sich widersprechenden Aussagen nicht beide wahr sein können, hat eine innere Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit ist eine andere als die empirische, dass im Kapitalismus sozialisierte Menschen diesen Gedanken immer oder meist in dieser Form vollziehen. In jedem logischen Gedanken steckt eine allgemeine Gültigkeit, die über ihn als konkreten, zufälligen Gedanken eines konkreten Individuums hinausgeht. Aber diese logische Notwendigkeit kann auch nicht von dem Denken konkreter Subjekte abgelöst werden, da deren Existenz jedem Denken vorausgesetzt ist. Und reale logisch denkende Subjekte sind Menschen nur als sozialisierte Individuen einer Gesellschaft. Diese stimmt ihr Denken auf austauschbare Anforderungen ab, für die sie lernen müssen, von eigenen Wünschen, Erfahrungen und Assoziationen Abstand zu nehmen. Durch die Austauschbarkeit der konkreten Anforderungen und die Notwendigkeit, die einzelnen Arbeitsakte gesellschaftlich auf einander abzustimmen, liegt im Kapitalismus selbst schon das Allgemeine des logischen Denkens, was sich dann im Denken der Menschen niederschlägt. Jeder Gedanke ist als gesellschaftlich und psychologisch bedingter immer konkret und auch zufällig. Sofern sich darüber aber der logische Zwang von richtigem Denken durchsetzt, ist der konkrete und zufällige Gedanke gleichzeitig auch allgemein und notwendig und geht im Erkennen von Wahrheit über sich selbst hinaus. Vom GSP wird richtiges Denken zur Seite der allgemeinen, logischen Notwendigkeit aufgelöst: das „Einleuchtende“.
Damit wird die gesellschaftliche Disziplinierung des Denkens vorangetrieben und nicht als Disziplinierung reflektiert: „Wenn die Theorie mit einer Täuschung – angenommen dem Mythos – aufräumt, dann hat das schon wieder mit Gewalt nicht das Mindeste zu tun, schon gleich nichts mit ‚Denken, das sich selbst Gewalt antut‘; es handelt sich vielmehr um die Beseitigung eines Widerspruchs des Denkens zu sich selber.“[40] Die Realisierung dieser Form des richtigen Denkens, das nur noch seinen allgemeinen Regeln folgt, besteht darin, von eigenen, scheinbar bloß individuellen Gefühlen, Wünschen und Erfahrungen abzusehen. Je rationaler das Denken wird, desto mehr unterdrückt es alles Spontane und nähert sich einer schematischen Informationsverarbeitung an. Der Denker wird zum austauschbaren Träger einer allgemeinen Rationalität. Gedanken müssen nicht mehr auf eigene Erfahrung bezogen werden. Argumente kann man lernen und sich als Fertiges einfach aneignen. Das Subjekt muss nicht mehr eigene Erfahrung für das Verstehen hineinlegen. Dabei soll das Wissen gerade ein Instrument für eigene Interessen sein: „Richtiges Denken hat seinen Grund im Interesse dessen, der Wissen braucht, damit er sich nicht täuscht und seine Anliegen nicht selber vermurkst“[41], aber als solches eben auch nicht mehr als ein Instrument, das man am besten handhaben kann, wenn sich die eigenen Interessen, Gefühle, Hoffnungen und Erfahrungen nicht in die Aneignung einmischen. Mit der Ausscheidung alles nicht Rationalen aus dem richtigen Denken wird das Subjekt auf Rationalität reduziert. Damit muss sich das Subjekt gegen alles Individuelle hart machen und es weg schieben.
Dieses Prinzip von Rationalität macht sich aber nicht nur am Subjekt, sondern auch am Objekt geltend, denn das Denken eines Subjekts ist immer auf ein Objekt bezogen. Der GSP hat dagegen prinzipiell einzuwenden: „Praktisch macht sich das Denken am ‚Seienden‘, dem ihm vorausgesetzten ‚Nichtidentischen‘, überhaupt nicht zu schaffen“. „Dabei tangiert Erkenntnis ihre Gegenstände gar nicht, und es schadet ihnen nicht, erkannt zu sein.“[42] Sofern der Gegenstand des Denkens ein innerer ist wie Fühlen, Wille oder das Denken selbst, verändert das Denken etwas daran. So lässt zum Beispiel die Theorie des freien Willens das eigene Fühlen und Wünschen nicht unberührt (vom diesbezüglichen Fehler beim GSP war beim freien Willen oben die Rede). Aber auch äußere Objekte werden nicht erst dann vom Denken tangiert, wenn sich aus dem Denken eine praktische Konsequenz ergibt. Das ist nicht so materiell gemeint, wie der GSP es sich nur vorstellen und in dieser Form zurückweisen kann: „Weder lässt sich eine Theorie des Bieres trinken, noch vertilgt sie den Gerstensaft.“[43] Aber nun sind die Dinge wie sie uns in der Wahrnehmung begegnen auch gar nicht nur die materielle Objektivität, sondern existieren für das Subjekt immer nur als von ihm wahrgenommene und gedachte. Dabei ist das Subjekt gleichzeitig passiv aufnehmend und aktiv tätig, indem es auch etwas von sich in das Objekt hineinlegt. Die Wahrnehmung eines Objekts ist weder ohne äußere Reize, noch ohne das Subjekt zu denken, welches diese Reize zur inneren Konstruktion einer äußeren Welt zusammenfügt. Erst das Subjekt ist überhaupt in der Lage, den qualitativen Übergang von äußeren Reizen und elektrochemischen Vorgängen im Gehirn in den Modus der Wahrnehmung zu bewerkstelligen und dabei Identität und Zusammenhänge zu stiften, angefangen bei der Zusammenfassung von Lichtreizen zu Gestalten und Luftschwingungen zu Tönen über das Identifizieren von Bekanntem bis zur gedanklichen Abstraktion und Ursachenerklärung sowie der Besetzung der Objekte mit Wünschen und Sinn. Der Gegenstandpunkt kennt diese subjektive Vermittlung in der Erkenntnis nicht. Bloß individuelle Wünsche und Erfahrungen werden aus der Erkenntnis heraus gekürzt und treten äußerlich zu ihr hinzu. Identität und allgemeine logische Zusammenhänge werden schon ins Objekt verlagert.
Folglich verbittet sich der GSP jede Relativierung des eigenen Denkens in Bezug auf die Welt (und das im Allgemeinen nicht nur bezogen auf Kapitalismuskritik): „Wer urteilt, erfasst in den logischen Formen die Identität des Gegenstandes, der dem Denken vorausgesetzt ist.“ Darin bestehe „die dem Denken eigentümliche Leistung, zu wissen, was die Sache ist“. „Identität zwischen dem Erkennenden und dem Erkenntnisobjekt stellt das Denken insofern her, als der Erkennende am Ende weiß, was das Objekt ist; er hat es im Kopf.“[44] Die Welt wird nach naturwissenschaftlichen Ideal gänzlich den Kategorien des Subjekts unterworfen. „Wo man das noch nicht kann, da merkt man: es fehlt Wissen.“[45] Alles, was sich am Objekt der rationalen Erkenntnis entzieht, wird von ihr eingeebnet. Alle Erfahrungen beispielsweise vom eigenen Willen, an denen man die Grenzen von Rationalität bemerken könnte, werden weg erklärt. Den Phänomenen, die nicht einfach eine rational bestimmbare Identität haben, was sich im Prinzip des Denkens als Widerspruch anzeigt, wird vom GSP unter Verweis auf die Gültigkeit der Widerspruchsfreiheit die Existenz aberkannt. Alle Objekte werden unter Abstraktion von ihrer Besonderheit auf allgemeine Begriffe und Zusammenhänge gebracht, so wie real verschiedenen Dinge und verschiedene Arbeiten im Tausch einander gleich gemacht werden. Wie unter den Zweck der Geldvermehrung in der kapitalistischen Realität ordnen sich beim Erkenntnisprozess des GSP alle Gegenstände unter die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ihres Denkens. Und deswegen ist gleichsam dieses Denken auch in der Lage, etwas von einer Gesellschaft zu erkennen, in der die geltenden Zwecke und ihre Rationalität radikal von individuellen Bedürfnissen der Menschen (insbesondere der Arbeiter) und der Beschaffenheit der jeweiligen Situationen, der konkreten Arbeiten und der in sie einbezogenen Dinge absehen. Insofern treffen die Analysen des GSP zu Lohnkampf, Konkurrenz, Sozialstaat, Wahlen usw. immer etwas an den Gegenständen, weil sie aufzeigen, was sich in ihnen an Allgemeinem durchsetzt: die kapitalistische und staatliche Logik. Im gleichen Sinne haben auch abstrakte Gesetzmäßigkeiten in der Naturwissenschaft ihre Berechtigung, denn nicht erst im Gesetz von der Schwerkraft wird Verschiedenes in der Reduktion auf Masse gleichgemacht, denn bereits die real wirkende Schwerkraft verhält sich so, als sehe sie davon ab, ob das fallende Etwas lebendig oder unbelebt, rot oder blau, eckig oder rund usw. ist. Bereits in der Natur selbst gibt es Momente, die sich nach Gesetzmäßigkeiten verhalten. Somit ist begriffliches, logisches Denken notwendig für jeden Versuch den Kapitalismus zu kritisieren und auch eine an Bedürfnissen orientierte Gesellschaft einzurichten, in der sich die Menschen bewusst über deren Gestaltung verständigen.
Wenn sich rationales Denken aber selbst als natürlich setzt und die ganze Objektivität auf sein Prinzip reduziert, dann überdauert darin auch die Härte der kapitalistischen Gesellschaft gegen das Besondere am Subjekt und am Objekt. Die Reduktion des Objekts auf das rational Fassbare fällt dabei auch auf das Subjekt zurück. Wie das Objekt nur in Bezug auf das Subjekt ist, ist auch das Subjekt nur in Bezug auf die Objekte. Einmal hat es sich an Objekten entwickelt, indem es gelernt hat, sich von ihnen abzuscheiden und an ihnen seine prägenden Erfahrungen gemacht hat und auch danach ist es immer nur die Instanz, die sich wahrnehmend, denkend und wünschend auf die Objekte der Welt bezieht. Damit besteht sein Reichtum in den vergangenen Erfahrungen und der Möglichkeit zu neuer Erfahrung äußerer Objekte, also in dem Maß seiner erfahrenden, wünschenden und denkenden Bezogenheit auf Objekte. Das rationale Subjekt, das an den Objekten nur die eigene Rationalität gelten lässt, kann an ihnen immer nur sich selbst erkennen. Es können keine Erfahrungen mehr gemacht werden, keine Gedanken mehr gedacht werden, die über das Bekannte hinausgehen und das Subjekt erstarrt in der Einsamkeit seines Denkens. In seiner gedanklichen Verfügung über die Welt verarmt es. Es schrumpft zum Punkt der urteilenden Vernunft.
Neben die gedankliche Verfügung über die äußere Welt tritt beim GSP die über die innere Welt. In ihrer freien Setzung bleiben auch die Interessen und Zwecke dem Subjekt äußerlich. Das Subjekt ist nicht das Ensemble seiner ‚Interessen‘ und seiner Gedanken und Erfahrungen, sondern es ist die Instanz, die sich von ihnen geschieden frei zu ihnen stellen und über sie verfügen kann. Es könnte sich auch genauso gut andere Interessen setzen und andere Gedanken denken. Die Befriedigungsakte treten zusammenhangslos nebeneinander. „Jeder Zweck befriedigt nur das Interesse oder Bedürfnis, dem er sich eben verdankt.“[46] Glück und Sinn gebe es nicht und das Bedürfnis danach sei Philosophie, also verkehrt. Und damit bleibt ihre kritische Forderung auch nur auf das Interesse nach mehr äußerlichen, isolierten und zusammenhanglosen Befriedigungsakten beschränkt, die im Kapitalismus die Funktionalität der Individuen gewährleisten und einer großen Zahl in den Zentren seiner Entwicklung auch zunehmend zu teil wurden. Der GSP hat zwar eine Kritik an Statusbedürfnissen und der Form, die die Interessen in der kapitalistischen Gesellschaft annehmen, aber die Interessen an sich bleiben unberührt als Ausgangspunkt von Kritik. Damit wird die heute in der kapitalistischen Wirklichkeit hergestellte Verarmung und Gewalt der Subjekte gegen sich und andere in der Theorie absolut gesetzt und verewigt. „Frauen argwöhnen immer, dass sie um ihrer Schönheit willen geliebt werden oder um des Sex willen. Da möchte man immer sagen: Ja was denn sonst?“[47]
Ändern sollen sich dann auch nur die Zwecke in den Beziehungen der Menschen zu einander, nicht, dass sie sich gegenseitig Mittel sind.[48] Dieses Aufgehen der Zwecke als Folge der vernünftigen gegenseitigen Benutzung kann dann natürlich nicht in der Form unmittelbarer Beziehungen zwischen Menschen existieren, sondern eben in einem Meer von Dingen. Das habe natürlich nichts mit Warenproduktion zu tun, so sei es halt.
Weil der GegenStandpunkt nicht darauf reflektieren kann, dass Subjektivität gesellschaftlich geformt ist, müssen sie in ihrer Kritik sowohl die Interessen in ihrer heutigen Form und mit ihrem heutigen Inhalt als Ausgangspunkt ihrer Kritik wie auch die Rationalität als Mittel dieser Interessen (i.e.S. der Kapitalismuskritik) als Letztes absolut setzen. Dabei geht der GSP in der Verhärtung des Willens und des Denkens noch über das hinaus, was sich die Menschen im Kapitalismus als funktional antun, weil es ihm nicht um Funktionalität, sondern die rationale Einstimmigkeit des Denkens geht, das dieser Funktionalität entspringt. Darin bleibt der GSP – ohne es wissen zu können – der Gesellschaft verhaftet, der er mittels Kritik entkommen will.

4. Fazit und Möglichkeit von Reflexion

Das Denken des GegenStandpunkts schließt sich ausgehend von der Widerspruchsfreiheit zum festen System, das alles auf sein Prinzip verpflichtet und der eigenen Rationalität unterordnet: „Mach mal ein Argument draus!“ Diesem Denken fällt am Subjekt und am Objekt alles zum Opfer, was sich nicht rational erfassen lässt. Damit verselbstständigt sich Denken gegen seine Zwecke und seine Objekte und entledigt sich ihrer tendenziell. Um dieser Tendenz entgegen zu wirken, müsste sich das vernünftige Subjekt darauf besinnen, dass irrationale Triebe und Wünsche Ursprung und Zweck von Denken sind und auch die Objekte nicht in rationalen Bestimmungen aufgehen, sondern diesen auch fremd sind. Eine Parteinahme fürs unterdrückte Besondere sollte dabei nicht bedeuten, dass man restlos im Objekt aufgeht oder sich unmittelbar der eigenen Irrationalität verschreibt. („Soll man in die Natur einen Baumgott hineinlesen?“[49])
Ohne die Leistung des Subjekts, das die Welt aus äußeren Reizen in Bewusstsein von der Welt verwandelt und sie dabei ordnet, gäbe es überhaupt keine Wahrnehmung, Erkenntnis und Erinnerung. Darin überbrückt es erst die Distanz von Subjekt und Objekt. Wenn aber wie beim Gegenstandpunkt nicht reflektiert wird, dass das Subjekt im Wahrnehmen und Erkennen selbst etwas hinzugibt, dann ist zwar die Distanz zwischen Subjekt und Objekt scheinbar überbrückt, aber nur dadurch, dass das Objekt den subjektiven Kategorien völlig angeglichen wird. Damit wird die Beziehung von Subjekt und Objekt gekappt. Erst in der Reflexion auf das subjektive Moment in der Wahrnehmung von Objekten könnte sich das Subjekt auch zurücknehmen, um sich auf das Objekt einzulassen und sich an ihm als dem Fremden zu erfreuen.

Politischer Exkurs:

Wenn im Text davon die Rede ist, dass das Subjekt dadurch verarmt, dass es sich nicht auf das Nichtrationale an Subjekt und Objekt einlassen kann, dann ist dabei an Folgendes gedacht: Man hat in sich Wünsche und Gefühle, die keiner rationalen Prüfung standhalten, die im Widerspruch zu einander und zum eigenen Selbstbild stehen, die wirken, obwohl man sie nicht kennt und die sich nicht auf den Begriff bringen lassen. In der Objektwelt gibt es andere Menschen, für die das gilt, Literatur, Kunst, Musik und Natur. Hier gilt der Satz von oben, dass sich unreflektierte Rationalität tendenziell der Zwecke und Objekte des Denkens entledigt und sich gegen sie verselbstständigt. Damit untergräbt es die Möglichkeit von glücklicher Erfahrung. Zugleich gehen diese Entledigungstendenzen aber beim GegenStandpunkt so weit, dass sie an der Möglichkeit von Kritik überhaupt kratzen. An Äußerungen zu Israel soll deutlich werden, wie die rationale Erklärung des GSP vom Gegenstand in der Erklärung etwas wegschneidet und an der Moralkritik des GSP, wie hier Kritik die Zwecke des eigenen Denkens beseitigt.

Israelkritik
„[…] ‚Wir sind doch ein Kollektiv, das hat keinen anderen Zweck als unser Volkstum zu verteidigen‘, genau aus dem Gedanken heraus kommt der Verfolgungswahn dann, wenn die Nation erfolglos ist in ihrer eigenen Einschätzung. Wenn die Nation sich entweder äußerer Feinde oder innerer Feinde oder einer Wirtschaftskrise nicht mehr erwehren kann, dann kommt: ‚wer ist denn schuld?‘ und dann kommt: die Ausländer, die ausländisch Orientierten, die die nicht echt zu ihrem Volkstum stehen oder in Wahrheit gar nicht richtig dazugehören. Und mit dem Gedanken sind nicht nur die Deutschen, sondern auch manche anderen Nationalisten Antisemiten geworden. […] Mit genau dem Gedanken entwickelt man genau den Wahn.“[50] Folglich weiß eigentlich auch der GegenStandpunkt, dass die kapitalistische Gesellschaft in Individuen, die viel von der eigenen Nation und vom eigenen Kollektiv und dessen Nutzen halten, immer erneut die Frage nach Schuldigen weckt und dass dabei auch heute viele bei den Juden landen. Die Verteidiger von Nation oder Kollektiv, die den Übergang zum Antisemitismus gemacht haben, zielen dabei nicht in rassistischer Manier auf Zurückdrängen oder Unterordnung der Juden, sondern auf eine vollständige Befreiung vom ‚jüdischen Wesen‘, also Vernichtung. Diese Logik kam im Holocaust zu ihrer Konsequenz und bis heute bestehen die Verhältnisse und Denkformen, die dahin führten, fort. Solange deren Ende nicht abzusehen ist (und das ist es entgegen dem Gebaren des GSP nicht) ergibt sich die Notwendigkeit, dass Juden durch einen Staat vor dieser Gefahr geschützt sind. Der GegenStandpunkt kennt die Brutalität von Nationen und der Kalkulation ihrer Fürsprecher; aber nur allgemein, was bedeutet, dass er hier keine Unterschiede zwischen Staaten mehr macht. „’Von uns können die doch nicht sein, denn wir als Kollektiv halten doch zusammen, wir Deutschen, wir Juden oder wir Israelis, wir sind doch ein Kollektiv, das hat keinen anderen Zweck als unser Volkstum zu verteidigen…‘ Genau aus dem Gedanken heraus kommt der Verfolgungswahn“ „Mit dem nationalen Gedanken, den du bei den Juden als das vernünftige Beisammenstehen billigst, mit genau dem Gedanken entwickelt man genau den Wahn.“ „Wir kennen es aus den KZs wie sie da die Leute behandelt haben. Das ist alles ganz normal aus dem Gedanken eines sich selbst erhaltenden, verteidigenden Volkstums heraus. Und genau so stehen die Juden heute da.“[51] Der Erhalt und die Verteidigung des jüdischen ‚Volkstums‘ ist nun aber notwendige Folge der Verfolgung, die sich aus der wahnhaften Verteidigung eines anderen Volkstums ergeben hat und aus der anderer Volkstümer weiter ergibt. Dadurch ist das jüdische Volk erst einmal von außen als Volk definiert und auf seine Verteidigung verwiesen. Darin liegt das Besondere des jüdischen Staates und es ist ignorant, Israel einfach vorzuwerfen, dass es ein bürgerlicher Staat sei und damit genau die Gesellschaft erhalte, aus der die antisemitische Vernichtungslogik kommt. Immerhin steht Israel doch in seiner Bürgerlichkeit auch diesen Tendenzen, die sich aus der bürgerlichen Gesellschaft ergeben, entgegen. Für die Ignoranz des GegenStandpunktes braucht es gar nicht notwendig Antisemitismus. Da reicht es wie üblich auch dort auf dem Allgemeinen zu bestehen, wo es nicht uneingeschränkt gilt. Der GegenStandpunkt kennt Staatszwecke und ihre Mittel zur Durchsetzung, weil er sie allgemein abzuleiten weiß. Dabei stört es ihn auch nicht, dass „Erhaltung und Verteidigung des Volkstums“ für Israel und den völkischen deutschen Nationalismus ziemlich schlechte Abstraktionen sind. Was eigentlich sehr Verschiedenes ist, muss sich für den GegenStandpunkt dann doch immer als Ausdruck der gleichen staatlichen Logik einordnen lassen: „Ist dir nicht bekannt, dass jedes Volkstum eine Legende seiner Bedrohung hat? Die Türken sind schon mal von den Armeniern schlecht behandelt worden, die Armenier von den Türken, die Deutschen von den Franzosen, die Franzosen von den Deutschen und und und. […] Und jeder hegt und pflegt die Erinnerung an das Unrecht, das dem eigenen Volkstum angetan worden ist, weil das der Rechtstitel ist mit dem er selber seine Staatsmacht und ihre gewaltsame Durchsetzung heiligt und höher hängt und für was ganz Tolles erklärt. […] Das ist doch nichts Besonderes bei den Juden.“[52]

Moralkritik:
Der GegenStandpunkt kennt eigene Interessen und weiß, dass Moral eine Beschränkung dieser darstellt. Moral diene dazu die Einzelinteressen mit der kapitalistischen Gesellschaft zu versöhnen, die für viele ihrer Mitglieder notwendig einen ständigen Schaden bedeutet. Aber nicht nur bürgerliche, sondern Moral überhaupt ist für den GSP verkehrt. Eine Moral, die nicht die Verinnerlichung des staatlichen Zwangs ist, sondern einen eigenen Maßstab an die Welt anlegt, der nicht in ihr gilt, sei unsinnig.[53] „[G]ar nicht existente allgemeine Interessen, Werte und Ideale“[54] sollen daher auch nicht der Ausgangspunkt von Kritik sein, sondern die eigenen Interessen: „Kritik besteht darin, die begriffene Sache am Interesse zu messen.“[55] Aus der rationalen Sicht des GSP ist es auch korrekt Moral als verkehrte Philosophie zu kritisieren, denn weder lässt sich aus eigenen Interessen die Nützlichkeit von Moral ableiten, noch lässt sich Moral anders rational begründen. Wenn Moral auf das Argumentieren festgelegt wird, muss sie sich als irrational herausstellen, weil es schlicht kein allgemeingültiges Argument dafür gibt, warum man Andere nicht töten oder quälen soll. Der GSP geht folglich in der Kritik sehr rational von den Interessen der jeweils eigenen Person aus. Dafür erklärt er sich, wo die Schädigungen der Interessen herkommen, mit denen man sich selbst im Alltag konfrontiert sieht. Bei Staat und Kapital kommt er zu dem Urteil, dass diese Sachen notwendig im Gegensatz zu den eigenen Interessen stehen und macht sich dann daran etwas gegen sie zu unternehmen, z.B. zu agitieren. Was man macht und wogegen, müsse von dem theoretischen Urteil abhängen und nicht von dem Erfolg, den man damit hat: „Das Erfolgs-Argument ist das gemeinste in der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung. Verlieren, Nachgebenmüssen ist etwas ganz anderes als Recht oder Unrecht haben.“[56] Diese Vorgehensweise scheint erstmal sehr vernünftig: die wirklichen Ursachen des eigenen Leidens zu kritisieren und trotz der eigenen Ohnmacht auf der Richtigkeit seiner Theorie zu beharren. Aber diese Art von Vernunft passt gar nicht mehr zum Ausgangspunkt der Kritik beim Gegenstandpunkt: dem eigenen Interesse. Wenn Kritik und deren Verbreitung ein Mittel für die eigenen Interessen sein sollen, dann wäre gerade der Erfolg ein relevanter Maßstab. Und gemessen an dem Nutzen für eigene Interessen wäre die kommunistische Kritik des GSP ein sehr schlechtes Mittel. Wenn es einem wirklich darum ginge, das eigene Interesse nach weniger Arbeit und einem größeren Fernseher und einer netteren Wohnung zu befriedigen, dann würde man versuchen, in den kapitalistischen Verhältnissen das Beste für sich herauszuholen. Auch wenn man begriffen hat, dass die eigenen Interessen im Kapitalismus systematisch geschädigt werden, wäre es nicht zweckmäßig auf einer richtigen Kritik, die sich im Blick auf eigene Interessen vielleicht nie auszahlen wird, mit viel Aufwand und Nachdruck zu bestehen. Eine radikale Kapitalismuskritik ergibt nur Sinn, wenn es einem auch um mehr, als die Abschaffung des eigenen Leides geht, also ein Interesse an der Verringerung des Leides von Anderen hinzutritt. Dieses moralische Interesse muss dabei nicht im Widerspruch zu eigenen Interessen stehen, sondern ergibt sich gerade aus diesen und der mit ihnen verbundenen Erfahrung von eigenem Leid. Dieses eigene Leid ist dabei eben nie nur individuelles Leid sondern immer auch allgemein. Einerseits ist Leiden allen Menschen gemein, weil sie sich alle nicht von ihrem Körper und ihren Wünschen, die Versagung erfahren können, abtrennen können und sich zweitens im Kapitalismus Leiden für viele Menschen notwendig und aus immer wieder gleichen Gründen einstellt. Ohne eine solche moralische Motivation würde es auch keinen GegenStandpunkt und seine Kapitalismuskritik geben. Gleichzeitig müssen die eigenen moralischen Impulse beim GegenStandpunkt aber abgespalten werden, weil sie nicht als rationales Argument taugen. Damit wendet sich die Rationalität – eigentlich das Mittel für die Interessen – gegen das moralische Interesse. Auf dieses moralische Interesse als Zweck ist die Rationalität als Mittel aber selbst notwendig verwiesen, um nicht selbst irrational zu werden. Angesichts der Moralkritik des GSP stellt sich die Frage, die sich nicht erst hier aufdrängt, trotzdem noch einmal verschärft: Wofür eigentlich noch Kommunismus?

  1. [1]Die Psychologie des bürgerlichen Individuums, S. 19
  2. [2]Gefühl & Verstand
  3. [3]Ebenda.
  4. [4]Ps.d.b.I., S. 19
  5. [5]Vortrag: Decker: Psychologie d. Bürg. Individuums
  6. [6]Sigmund Freud – Ein Verriss der Psychoanalyse
  7. [7]Über den Prozess der Zivilisation Bd. 1, S. 244 – 248
  8. [8]Janis, Kaye & Kirschner, 1965
  9. [9]Galizio & Hendrick, 1972
  10. [10]Vortrag: Decker: Psychologie d. Bürg. Individuums
  11. [11]Ebenda.
  12. [12]Ps.d.b.I., S.127
  13. [13]Ps.d.b.I., S.126
  14. [14]Siegmund Freund – Ein Verriss der Psychoanalyse
  15. [15]Vortrag: Decker: Psychologie d. Bürg. Individuums
  16. [16]Ebenda.
  17. [17]Siegmund Freund – Ein Verriss der Psychoanalyse
  18. [18]Vortrag: P. Decker: Kritik der kritischen Theorie
  19. [19]Vortrag: Decker: Die Philosophie
  20. [20]Decker: Marxismus
  21. [21]Ps.d.b.I., S. 11 f.
  22. [22]
  23. [23]Ps.d.b.I., S. 139
  24. [24]Vortrag: Decker: Anlässlich des alljährlichen Fests der Liebe: Die gesellschaftliche Institution Familie – Ort des Glücks, des Psychoterrors und des Amoklaufs
  25. [25]Ps.d.b.I., S. 83
  26. [26]Vortrag: Decker: Wissenschaftskritik: Philosophie
  27. [27]Vortrag: Decker: Moral – das gute Gewissen der Klassengesellschaft
  28. [28]Kritik bürgerlicher Wissenschaft: Immanuel Kant
  29. [29]Vortrag: Held: Die Psychologie des bürgerlichen Individuums
  30. [30]Ps.d.b.I., S.11
  31. [31]Ps.d.b.I., S.109
  32. [32]Ps.d.b.I. S.117
  33. [33]Ps.d.b.I. S.134f.
  34. [34]Vortrag: Decker: Psychologie d. Bürg. Individuums
  35. [35]Hegels Wissenschaft der Logik
  36. [36]Vortrag: Dozekal: Wissenschaftskritik: Kritik der Soziologie
  37. [37]Der bürgerliche Staat, S. 8
  38. [38]Ps.d.b.I. S. 139, kursives im Original fett
  39. [39]Die 10 beliebtesten Dogmen der ‚Kritischen Theorie‘
  40. [40]Der Mythos im Licht der Wissenschaft
  41. [41]Ebenda.
  42. [42]Die 10 beliebtesten Dogmen der ‚Kritischen Theorie‘
  43. [43]Ebenda.
  44. [44]Ebenda.
  45. [45]Vortrag: Decker: Kritik der kritischen Theorie
  46. [46]Kritik bürgerlicher Wissenschaft: Immanuel Kant
  47. [47]Vortrag: Decker: Anlässlich des alljährlichen Fests der Liebe: Die gesellschaftliche Institution Familie – Ort des Glücks, des Psychoterrors und des Amoklaufs
  48. [48]Vortrag: Decker: Kritik der kritischen Theorie
  49. [49]Ebenda.
  50. [50]Ausschnitt aus Vortrag mit P. Decker: Das grenzenlose Sicherheitsbedürfnis Israels und sein Nutzen für die amerikanische Kontrolle der Welt
  51. [51]Ebenda.
  52. [52]Ebenda.
  53. [53]Vortrag: Decker: Moral – Das gute Gewissen der Klassengesellschaft
  54. [54]Kritik – Wie geht das?
  55. [55]Ebenda.
  56. [56]K. Held bei Nachdenken in Ingolstadt