Redebeitrag von #unteilbar-Demo am 15.02.2020

Domplatz 15.02.2020

Wir waren heute auch bei der Demo mit einem Redebeitrag vertreten:

„Wir sind die Sozialistische Jugend – Die Falken aus Erfurt und wir wollen in unserem Redebeitrag versuchen, nicht erneut zu wiederholen, was in der letzten Woche schon hundertfach gesagt worden ist: ein Dammbruch, der Bruch in einem angeblich bestehenden antifaschistischen Konsens über Parteigrenzen hinweg, die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen der AfD.

Die Enttäuschung ist überall groß, die Empörung auch. Wir glauben jedoch nicht, dass das, was da letzte Woche im Thüringer Landtag passiert ist, etwas anderes ist als der offene Ausdruck dessen, was das Denken von Politikerinnen und Politikern, aber auch der Wähler*innen von CDU und FDP notwendigerweise schon immer ausmacht: eine Anschlussfähigkeit nach rechts, die von den Akteuren selbst jedoch vollkommen undurchschaut bleibt, wie auch Kemmerichs verzweifelte und lächerliche Abgrenzungsversuche gegenüber der AfD nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten („Ich bin anti-Höcke!“) wieder einmal aufgezeigt haben. Während die gesamte gesellschaftliche Linke von CDU und FDP ständig mit dem Kampfbegriff der Ideologie diskreditiert wird, während auf allen Kanälen darüber gestritten wird, ob Nazi zu sein am Ende das Gleiche ist wie antikapitalistischer Aktivismus und Antifa-Arbeit, bleibt vollkommen unerkannt, dass das eigene Weltbild Ausdruck eines falschen Bewusstseins ist, das es braucht, um vor sich selbst und Anderen die Verhältnisse zu rechtfertigen, in denen wir leben und deren Unmenschlichkeit jeden Tag offensichtlich wird.

FDP und CDU zu wählen, heißt noch mehr als bei den linken Parteien des Parteienspektrums, sich einverstanden zu erklären damit, dass Leistung das oberste Prinzip dieser Gesellschaft ist. Das Leistungsprinzip und die dahinterstehende Vorstellung davon, dass für jeden einsehbar sei, warum er oder sie etwas zu leisten hätte, verschleiert, dass es in dieser Gesellschaft nie um die tatsächliche Befriedigung der eigenen Bedürfnisse oder Entfaltung der individuellen Fähigkeiten geht, was das das einzig Vernünftige wäre. Und dass Herkunft darüber entscheidet, ob man ein halbwegs erträgliches Leben führen kann oder ob es überhaupt einen interessiert, ob man im Mittelmeer ertrinkt oder nicht. Von diesem Standpunkt aus ist es kein weiter Weg und es benötigt nicht erst das Einreißen einer „Brandmauer“, um autoritär vorzugehen gegen alle, die einem nicht passen, sie zu verfolgen oder zu vernichten. Sicherlich, wir leben nicht im Faschismus und die CDU oder FDP ist nicht die AfD, doch wer nicht erkennt, dass Konservative und Neoliberale kein Teil eines antifaschistischen Konsens sein können, weil sie den Faschisten viel näher stehen als sie selbst begreifen, der hat auch nicht viel begriffen und muss sich noch wundern über Kemmerich und Mohring. Wir finden, da gibt es nichts zu wundern: Die Vorstellung, man teile irgendwelche Werte mit diesem Menschen, entpuppte sich nicht erst letzte Woche als Irrglaube, sondern sie offenbart sich täglich als naive Illusion. Wer wie die Neoliberalen davon ausgeht, dass Menschen von Natur aus nicht über Vernunft verfügen, für den braucht es aristokratische Eliten, die die Massen anführen. Der Neoliberalismus ist selbst autoritär. Ihren angeblichen Feinden von der AfD sind die Vertreter*innen der FDP damit viel näher als sie behaupten.

Zu verstehen und zu handeln und uns zusammenzutun, um die Freiheit zu erkämpfen, die die FDP nicht denken kann

Wir wollen hier auch nicht falsch verstanden werden: Auch jede andere Alternative bei einer Wahl ist eine schlechte, denn regiert zu werden, egal von wem, verstetigt die Unmündigkeit, in der wir in dieser Gesellschaft leben, einer Gesellschaft, in der man nicht über sich selbst verfügt, in der man seine Arbeitskraft und einen Großteil seiner Lebenszeit verkauft, um etwas zu Essen zu haben und eine Wohnung. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der es möglich ist, diese Unmündigkeit zu überwinden.

Wir sind also heute nicht auf dieser Demo, weil wir empört sind über die Politiker*innen der FDP oder über die CDU. Wir sind auch nicht hier, um uns in dem wohligen Gefühl zu baden, einmal mit mehr als den gewohnten 400 Leuten in Erfurt auf einer antifaschistischen Demonstration zu stehen und uns einzureden, wir wären mehr. Wir fühlen uns auch keinesfalls allen Organisationen, die an dieser Demonstration teilnehmen, „unteilbar“ verbunden oder stimmen in allem überein. Wir sind nicht hier, weil wir glauben, unser Leben würde tatsächlich zu einem lebenswerten mit Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten. Wir sind hier, weil rechte Politik unser aller Leben noch beschissener machen wird. Und weil wir darauf aufmerksam machen wollen, dass es die durch die Bürgerinnen und Bürger geschaffenen Mehrheitsverhältnisse in diesem Land sind, die sowohl eine faschistische Partei mit über 20% der Stimmen ins Parlament geholt haben und dazu auch noch ihre verständnislosen Lakaien aus FDP und CDU mit einem Stimmanteil, der dieses überhaupt Debakel möglich gemacht hat, das hinter uns liegt. Dass also der Faschismus eine Gefahr ist, die nicht von irgendwelchen unfähigen politischen Funktionären ausgeht, sondern in erster Linie von einem großen Teil der hiesigen Bevölkerung, die ihre beschissene Lage nicht den Verhältnissen, sondern den Ausländern und Juden anlastet und ernsthaft glaubt, eine rechte Regierung könnte ihre Probleme lösen. Es kann nur unser Ziel sein, uns all diesen Leuten entgegenzustellen, überall und nicht nur im Parlament und zu versuchen, ihr Reden zu kritisieren, wo immer es geht. Zu verstehen und zu handeln und uns zusammenzutun, um die Freiheit zu erkämpfen, die die FDP nicht denken kann.“