Ein Jahr nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel sind wir gemeinsam mit dem Bündnis gegen Antisemitismus Weimar mit einem Beitrag bei den Gedenkveranstaltungen in Erfurt vertreten. Lest hier unseren Beitrag.
Heute ist ein Tag, an dem ich schon in viele traurige Augen geblickt habe und an dem sich meine Stirn schwer anfühlt vor lauter Gedanken. Ich fühle mich zurückversetzt an den 7. Oktober 2023, will ruhen und trauern und dennoch bin ich auch verzweifelt und wütend.
Ich bin wütend über den antisemitischen Terrorangriff des 7. Oktobers, welcher sich heute zum ersten mal jährt und uns in den letzten Monaten in voller Härte gezeigt hat, dass er nicht folgenlos blieb.
Ich bin verzweifelt darüber, dass Antisemit*innen und ihre Drohungen entgegen dem deutschen Versprechen immer noch nicht ernst genommen werden und daraus immer wieder Taten folgen. Der Angriff der Hamas war eine Zäsur, die das Leben von jüdischen Menschen auf der ganzen Welt in ein „davor“ und „danach“ geteilt hat. Die Ermordung von über 1.200 Israelis, die sexuelle Gewalt an israelischen Frauen, die Schändung und Bejubelung der Toten – später auch in Gaza – und die Entführung von ca. 240 Geiseln sorgten allerdings nicht bei allen für nachhaltiges Entsetzen. Vielmehr hinterließ der 7. Oktober eine betretene Stille, ein Nichts, aus dessen Abgrund teilweise unmittelbar die Relativierung folgte. Die schlimmste antijüdische Attacke seit der Shoah hatte demnach nicht nur gravierende Auswirkungen auf Israelis in Israel, sondern auch auf Jüdinnen und Juden weltweit. Angriffe auf Jüdinnen, Juden und mit ihnen solidarische Menschen sind wieder ein Stück mehr zum Alltag geworden. Die Zahl der antisemitischen Vorfälle stieg im Vergleich zur Zeit vor dem 7. Oktober 2023 inzwischen dramatisch an.
In Deutschland werden Synagogen & Shoah-Mahnmale beschmiert, jüdische oder israelsolidarische Projekte mit Hamas-Dreiecken versehen und damit als legitimes Angriffsziel markiert. Jüdische Studierende werden angegriffen oder über den Verbleib von jüdischen Partner-Organisationen in Bündnissen diskutiert . Im gleichen Atemzug werden auf den Straßen antisemitischer und islamistischer Terror verharmlost oder gar zelebriert. Auch große Teile der gesellschaftlichen Linken wissen die Welt wieder in Gut und Böse zu teilen suchen nach dem „Kontext“ in Bezug auf das antisemitische Pogrom. Als könnte ein derart grausames Ereignis mit dem richtigen Kontext seine Grausamkeit verlieren, als wäre die politische Situation im Nahen Osten Rechtfertigung für menschenverachtenden Terror gegen Zivilist*innen in Israel. Während in sämtlichen anderen Diskursen von Linken mit Präzision seziert und differenziert wird, ist im Falle Israels ganz klar, wer Opfer und wer Täter ist. So wird aus dem eh schon worthülsenhaften und mit mahnendem Zeigefinger gesprochenen „nie wieder“ heute ein „Sei wachsam, unauffällig oder am besten gar nicht existent“. Den Gipfel dessen bildet die zynische Parole „Free Palestine from German guilt“.
Dass Terroristen und Islamisten plötzlich zu Freiheitskämpfern glorifiziert werden, mit denen man sich gemeinsame Kämpfe imaginiert, irritiert und verärgert uns. Es steht nicht nur im stärksten Widerspruch zu einem linken emanzipatorischen Selbstverständnis, sondern trifft neben Jüdinnen und Juden unmittelbar auch Muslime, Kurd*innen und Jesid*innen, die vor genau diesen Menschenfeinden geflohen sind. Wir wollen vor diesem neuen Zeitgeist nicht einknicken, sondern treten dem ganz entschieden entgegen, indem wir antisemitischen Terror und Islamismus klar als solchen bezeichnen. Wir müssen das als Teil unseres Kampfes gegen Faschismus begreifen! Antisemitismus muss auch dann widersprochen werden, wenn er sich über den politischen Scheinbegriff des Antizionismus äußert und seine antijüdischen Bilder auf den Staat Israel projiziert werden – dem einzigen jüdischen Schutzraum, dessen Zerstörung Kern des Angriffs der Hamas war.
Als Linke haben wir uns nicht nur Orte des Austauschs, der Solidarität und zum Ausleben unserer Utopien erkämpft, sondern auch Räume, in denen wir Wut, Trauer und Angst teilen können, in denen wir empathisch miteinander und füreinander da sind. Wir haben sie mit dem Anspruch geschaffen, dass sie für Alle offen und sicher sind und gegen Unrecht verteidigt werden müssen, auch wenn es aus den eigenen Reihen erwächst. Es ist bitter zu wissen, dass diese Räume von jüdischen Menschen gemieden werden, weil sie sich dort weder gesehen, noch sicher fühlen. Deshalb treten wir Antisemitismus immer entschlossen entgegen, auch wenn er von autoritären Linken propagiert wird und uns die Auseinandersetzung mit ihnen im vergangenen Jahr eine Menge Kraft gekostet hat.
Wir dürfen unsere Kämpfe gegen Antisemitismus aber nicht Konservativen und Rechten überlassen, die von Judenfeindschaft als einem importierten Phänomen sprechen. Sie vermeiden bewusst eine Analyse des Antisemitismus und schüren stattdessen Ressentiments gegen Muslime und Geflüchtete, denen sie per se unterstellen, antisemitisch zu sein. Doch gerade die deutsche Geschichte zeigt: Der Antisemitismus sitzt tief in unserer europäischen Gesellschaft und kann nicht einfach „abgeschoben werden“. Abschiebefantasien und die neuste deutsche Grenzpolitik sind nicht nur menschenfeindlich, sondern auch wirkungslos im Kampf gegen Antisemitismus. Vielmehr müssen Rassismus und Antisemitismus gemeinsam bekämpft und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Antisemitismus aus konservativen und rechtsextremen Strömungen ist für Jüdinnen und Juden nicht erst seit den Landtagswahlen in Thüringen genauso eine Bedrohung, wie der aus linksliberalen, akademischen und autoritär-linken Zusammenhängen.
Wir sind heute in Gedanken bei den Menschen in Israel. Wir denken an das unvorstellbare und bis heute andauernde Leid der verbliebenen Geiseln und ihrer Angehörigen. Wir trauern um alle unschuldigen Opfer dieses Krieges, für den ganz allein die Hamas und ihre Unterstützer verantwortlich sind. Wir fordern von diesen deshalb die Freilassung der Geiseln und die Niederlegung ihrer Waffen, was ein notwendiger Beitrag zum Ende des Krieges wäre und damit auch den Schutz der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen und der Zivilist*innen im Libanon ermöglichen würde. Wir sagen ja zum Leben, zum Mensch sein und gegen den islamistischen Todeskult. Wir begreifen uns als Teil einer emanzipatorischen Linken, die gegen Antisemitismus, Islamismus und den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft kämpft, sich an ihre universalistischen Werte erinnert und diese verteidigt.
Gegen jeden Antisemitismus!
Free Gaza from Hamas!
Am Israel Chai!
Lest hier auch einen Bericht über die Gedenkkundgebung: https://www.ruhrbarone.de/am-israel-chai-in-erfurt/238218/