Redebeitrag Für eine antifaschistische Hood und über die Notwendigkeit linker Pädagogik

Am 29.10.2022 fand in Ilversgehoven das Stadtteilfest Hood Not Kiez statt. Bei der Kundgebung gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus am Ilversgehovenerplatz hielten wir Helfer*innen eine Redebeitrag, den ihr hier (leicht verändert) lesen könnt.

Vor ein paar Monaten hat der Kurzzeit-Ministerpräsident Kemmerich von der FDP gegen die Landesregierung geschossen: Warum fördern Sie denn die Falken, die Unis, Schulen und Lohnarbeit niederreißen wollen? Im Prinzip war ein es Angriff gegen das Linkssein unseres Kinder- und Jugendverbandes. Mit dem Ziel, dass wir kein Geld bekommen sollen. Ohne unsere lächerlich kleine Förderung wäre unsere Arbeit schwer möglich und das weiß Kemmerich.
Die BILD-Zeitung hat Kemmerichs Angriff dankbar aufgenommen: Der FDP-Politiker stelle die Frage, warum die linken Falken Geld von Steuerzahlen bekommen und garnierte die Hetze noch mit einem von Springer 1969 selbst produzierten Skandal über die Falken. Da ging es um die progressive Sexualpädagogik der Falken. Aus Falken wurden Sex-Kommunisten. Der Jounalist des Artikels erhoffte sich dadurch wohl Empörung Deutschland-Fahnen-Schwenkender-Opas. Nicht nur die BILD stürzte sich auf Kemmerichs Generve, sondern auch Neo-Nazis aus Erfurt. Sie paraphrasierten den Artikel der BILD und warfen ihn in die Briefkästen rund um unsere Räumlichkeiten. Auch beim Kidsklub hier in Ilversgehoven wollten sie die Hetze in die Briefkästen der Nachbar*innen werfen – aber sie scheinen bei niemandem angekommen zu sein und wir fanden die Einfältigkeit der Nazis auch eher belustigend.

Aber die Geschichte hat einen düsteren Kern: Parlamentarier von Parteien der sogenannten Mitte wollen linke Arbeit unmöglich machen – dabei haben sie die gewaltbereiten Neo-Nazis und die Klatsch-Presse auf ihrer Seite. Sie machen gemeinsame Sache mit der Diffamierung von linker Gesellschaftskritik und ihrer Praxis. Damit haben sie unmittelbar keinen Erfolg. Unsere Förderung wurde dieses Jahr sogar erhöht. Aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Ihr Handeln normalisiert die Diffamierung unserer Arbeit. Was früher noch ein Skandal war, geht heute schnell im allgemeinen Rauschen unter.​​​​​​​ Dass Nachbarn im Innenhof des Kidsklubs uns beim Sommerfest filmen, weil sie es hassen, dass Frauen mit Kopftuch mit uns zusammen grillen, ist irgendwie normal geworden. Der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde vor Kurzem der Status ihrer Gemeinnützigkeit entzogen. An Antifaschist*innen werden Exempel statuiert. Der Prozess gegen Lina wurde medial in unfassbarer weise inszeniert. Antifaschist*innen sollen eingeschüchtert werden.

In dieses gesellschaftliche Klima herein plärren Politiker*innen: Wer gegen ihre Krisenpolitik auf die Straße geht, würde gegen die Interessen der Gesellschaft handeln! Man solle „die Ärmel hochkrempeln“, „Sparen für Deutschland“, den sogenannten sozialen Zusammenhalt. Wer krempelt denn jeden Tag die Ärmel hoch? Die alleinerziehende Mutter zum Beispiel, die ständig Extraschichten schiebt. Die hat kaum was von den Entlastungspaketen. Von denen haben Großerverdiener was, Leute mit Pool im Garten. Wer von uns hat einen Pool? Wer überhaupt eine Garten?

Mit einem haben die Politiker*innen aber Recht: Gegen ihre Politik auf die Straße zu gehen, ist gegen Interessen der Gesellschaft! Aber nicht gegen unsere, sondern gegen die Interessen derer, die von unserer Arbeit leben!
Sparen für Deutschland – das tut so, als hätte Deutschland
1. Irgendeinen Eigenwert und
2. Als säßen wir in Deutschland alle im selben Boot.
In Wirklichkeit besitzen in Deutschland zwei Menschen mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Es wird im Kapitalismus immer die geben, die nichts haben als ihre Arbeitskraft, die sie verkaufen müssen, und die, die daran verdienen. Der Mythos der Nation ändert daran gar nichts. Er suggeriert, dass der Widerspruch zwischen Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*inneninteresse sich in der Nation auflöse. In einem Text von KIZ heißt es „Du und dein Chef habt nichts gemeinsam, als das Deutschlandtrickot“. Gerade liegt dieser Widerspruch offen auf dem Tisch, denn die Armen werden noch viel ärmer und die Reichen immer reicher. Mit einer Deutschlandfahne wird er zugedeckt.

Der nationale Wahn bringt uns Ausgebeuteten in Wirklichkeit nicht nur nichts, er ist tödlich für die vermeintlichen Feinde der Nation. Junge Leute gehen sogenannte und vermeintliche Ausländer klatschen, für Deutschland, gegen seine Zersetzung durch Flüchtlinge und Schwule, Kommunisten. Die Nazis in unserem Viertel rufen „Connewitz, Jude, Jude“ und „AJZ anzünden.“ Die denken, dass die Art und Weise wie Arbeit in der Gesellschaft organisiert wird, natürlich ist. Nazis prügeln Obdachlose zu Tode, sie hassen arme Menschen. Die halten sie für Gesindel, das nicht zur „guten deutschen Arbeit“ fähig ist.

Gelingender Antifaschismus ist das Zerschlagen des nationalen Wahns! Unsere Antifaschistische Praxis hier im Kidsklub ist die Organisierung antifaschistischer Pädagogik. Auf Zeltlagern, in den wöchentlichen Gruppenstunden und in Ferienfreizeiten machen wir erfahrbar, was es heißt, wenn alle tatsächlich formal gleich sind. Wenn alle die Möglichkeit haben, ihre eigenen Interessen zu erkennen und in überschaubaren, aber nicht unterkomplexen demokratischen Strukturen zu vertreten. Wir machen erfahrbar, dass es sinnvoller ist, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, statt zu konkurrieren. Wir organisieren einen Raum, in dem Armut thematisiert wird – Armut kein Stigma ist, kein individuelles Scheitern, kein Schicksal, sondern dass wir unserer beschissenen Lebenssituation einiges entgegenzusetzen haben: Wir machen erfahrbar, dass kollektive Ressourcenverwaltung sinnvoll ist, weil am Ende für alle Viel dabei herauskommt. Dass man sich ein geiles Zeltlager organisieren kann, wenn man verbindlich zusammenarbeitet: Zwei Wochen Spaß, Freundschaft, Schwimmengehen, Partys Feiern, ernsthafte und sinnstiftende Gespräche führen, Streiten, Lachen. Dass man Autoritäten in Frage stellen kann, mit den Helfer*innen streiten. Wir machen oft Fehler und setzen Regeln gegen die Kinder durch, die sie dumm finden und von denen niemand so richtig was hat. Die Kids können uns kritisieren und andere Umgangsformen einfordern und etablieren. Wir machen immer öfter die Erfahrung, dass die Kinder mit uns diskutieren und uns überzeugen, Dinge anders zu machen. Meistens ist es danach besser, als es vorher war. Wir wollen dazu beitragen, dass die Kinder fähig werden, ihre Interessen miteinander aushandeln zu können und sich durchzusetzen. Wir erziehen die Kinder nicht zur Harmonie, nicht zum Ja- und Amen-sagen. Wir vermitteln keine Dogmen, wir wollen den Kindern die Fähigkeit zum kritischen Denken vermitteln. Wir sind der festen Überzeugung, dass man sich selbst nur behelfen kann, wenn man nicht auf Dogmen wie den Nationalen Wahn hereinfällt, sondern Interessenskonflikte als solche erkennt. Wir leben aber auch selbst eine linke Kultur vor: Reproduktionsarbeit wird von allen gleichermaßen geleistet, wir machen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wir Helfer*innen hassen Rassismus und Antisemitismus und widersprechen ihm, wir gehen auf Demonstrationen und laden Kinder und Eltern ein, mit uns mitzukommen. Wir sind Genoss*innen und die Kinder gehören zu uns. Wir lassen niemanden fallen. Wenn jemand abgeschoben werden soll, machen wir Stress.

Antifaschismus ist vielfältig. Linke Pädagogik ist ein Teil von ihm. Wir sehen und merken, dass die Verhältnisse sich zu unseren Ungunsten zuspitzen. Kemmerich, Klatschpresse, Nazis auf der Straße, pöbelnde Nachbarn. Es gibt kein Zaubermittel gegen autoritäre Tendenzen. Uns bleibt, uns zusammen zu schließen und uns nicht dumm machen zu lassen. In diesen düstersten Zeiten gilt: Eine antifaschistische Hood ist möglich, weil sie nötig ist! Das einzige, was uns hilft, sind kluge und mutige Menschen, die nicht aufhören, für eine bessere Gesellschaftsordnung zu streiten. Menschen, die die Probleme erkennen und nach Wege suchen, sie anzugehen. Die den Streit und die Auseinandersetzung suchen.

Das Unglück muss überall zurückgeschlagen werden! Für eine Antifaschistische Hood!