Ausführliche Stellungnahme der Falken Erfurt

Antonio & Vladimir sollen bleiben!

Derzeit sind Antonio (12 Jahre) und Vladimir (46 Jahre) akut von einer Abschiebung nach Mazedonien bedroht. Wir kennen beide schon seit mehreren Jahren und setzen uns dafür ein, dass Antonio und Vladimir in Erfurt bleiben können. Wir möchten gemeinsam verhindern, dass Antonio und Vladimir aus unserer Mitte gerissen werden.

Strukturelle Perspektivlosigkeit in Mazedonien und Deutschland

Antonio und seine Familie sind 2012 das erste Mal nach Deutschland gekommen, da sie als Roma in Mazedonien diskriminiert und benachteiligt werden. In Mazedonien konnten die Eltern von Antonio keine Arbeit finden und die Geschwister wurden in der Schule und im Stadtteil schlecht behandelt. Durch die auswegslose Situation von zu wenig Geld, um die Miete zu bezahlen oder die Familie zu ernähren, haben sie sich entschieden, dass Antonio und seine Geschwister eine besser Chance bekommen sollten. 2013 hat sich die Famile Roma Thüringen, einem Zusammenschluss und einer Interessensvertretung von Sinti und Roma in Thüringen angeschlossen und Vereinsaktivitäten und Hilfen für andere Familien mit organisiert. Da Mazedonien als sogenanntes sicheres Drittland in Deutschland eingestuft ist, wird die Diskriminierung von Roma in Mazedonien nicht als Fluchtursache anerkannt. Das hat zur Folge, dass Menschen, die aus Mazedonien nach Deutschland flüchten keine Arbeitserlaubnis bekommen und somit auch in Deutschland in einem Kreislauf von Armut und Perspektivlosigkeit bleiben, wenn sich nichts an den Lebensumständen ändert. 2016 wurde die Familie von Antonio erneut abgeschoben und ist 2019 ein zweites Mal nach Deutschland und wieder nach Erfurt gekommen. Seitdem wurden zwei Brüder von Antonio abgeschoben. Die eigene Abschiebung, sowie die Abschiebung der zwei Brüder und die permanente Angst sind kein Zustand für ein Kind, um gut aufwachsen zu können. Letztes Jahr wurde Antonio von Jugendlichen auf einem Skateplatz bei einem Jugendklub verprügelt und hatte daraufhin einen Krankenhausaufenthalt. Seitdem ist Antonio in therapeuthischer Betreuung. Die Situation von Schule und Corona schlägt sich auch nochmal mit besonderer Härte nieder – ohne Internet in der Unterkunft und ohne Endgeräte ist ein Kind komplett von der Schule abgeschnitten. Seit Corona sind seine Noten zunehmend schlechter geworden, da der Informationsfluss der Schule nicht mehr gegeben war.

Antonio gehört zum Kidsklub Purpur

Als wir den Kidsklub Purpur im März 2019 eröffneten, gehörte Antonio zu den Nutzer:innen der ersten Stunde. Häufig stand er schon ungeduldig vor der Tür, während wir noch mit Aufschließen beschäftigen waren. Antonio nahm regelmäßig an unseren Öffnungszeiten teil und brachte sich in den Gruppenstunden ein. Seine besonderen Interessen waren Fußball und die gemeinsamen Kochangebote. Uns Gruppenhelfer:innen hat die gemeinsame Zeit mit Antonio sehr viel Freude bereitet. Er war fester Teil der Kindergruppe im Kidsklub Purpur und bei allen Aktivitäten mit dabei. Inzwischen ist er etwas zu alt für den Kidsklub Purpur – aber einige Freundschaften, die Antonio im Kidsklub Purpur knüpfen konnte, blieben bestehen und wir begegnen uns weiterhin regelmäßig im Viertel. Für uns ist klar: Antonio gehört zum Kidsklub Purpur!

Vladmir engagiert sich ehrenamtlich für die Belange von Sinti und Roma in Thüringen

Antonios Vater Vladimir kennen wir über sein Engagement für die Belange von Sinti und Roma in Thüringen. Trotz schwieriger persönlicher Lage, Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen und prekärem Aufenthaltstatus ist Vladimir aktives Mitglied bei dem Verein RomnoKher Thüringen e.V. und setzt sich solidarisch für die Interessen von Sinti und Roma in Thüringen ein. Vladimir war für uns Gruppenhelfer:innen aus dem Kidsklub Purpur trotz Sprachbarrieren immer angesprechbar und hat uns bei Besuchen sehr herzlich empfangen. Für uns gehören die Eltern des Kidsklub Purpur genau so dazu, wie die Kinder. Auch Vladimir gehört zum Kidsklub Purpur und muss bleiben!

Psychische Belastungen

Sowohl Antonio als auch Vladimir merkt man die enormen psychischen Belastungen, die der prekäre Aufenthaltstatus mit sich bringt – den immensen Druck, der auf beiden lastet – sehr stark an. Unserer Einschätzung nach brauchen beide ein stabiles Umfeld und eine Chance, aus dem dauerhaften Schwebe- und Angstzustand rauszukommen. Wir machen uns große Sorgen, dass eine Abschiebung nach Mazedonien auch desaströse psychische Konsequenzen für die Beiden hätte.

Flucht vor Antiziganismus

Mazedonien zählt seit 2014 zu den sogenannten „sicheren Herkunfsländern“, was die Möglichkeit für Menschen aus Mazedonien, in Deutschland Asyl zu bekommen, fast unmöglich macht. Gleichzeitig sind Roma in Mazedonien massiven Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt – viele fliehen vor Antiziganismus und der daraus resultierenden Armut und Perspektivlosigkeit. Roma, die in anderen Ländern Asylanträge gestellt haben und zurückkehren müssen, erwarten zusätzliche staatliche Sanktionen. In der Coronakrise hat sich die Situation drastisch verschärft, es kommt zu mehr antiziganistischen Übergriffen und Stigmatisierung. Roma Siedlungen werden präventiv abgeriegelt und medizinischer Versorgung verwehrt. Dabei sind besonders Roma vom Coronavirus bedroht. In Siedlungen leben Roma unter prekären Bedingungen, auf engen Raum, ohne genügend öffentliche Zugänge zu Trinkwasser und ohne Kanalisation. Solange sich an der Lage von Roma in Mazedonien und im West-Balkan insgesamt nichts ändert, werden Roma versuchen, sich in anderen Ländern ein besseres Leben aufzubauen – völlig zu Recht. 

Keine Abschiebungen von Kindern

Im Kidsklub Purpur haben wir ein Projekt mit dem Titel „Perspektive bleiben“, was sich um die Inklusion von geflüchteten Kindern bemüht. Den Kidsklub Purpur gibt es seit zwei Jahren und wir hatten mehrmals die Situation, dass geflüchtete Kinder von einem zum anderen Tag nicht mehr kommen und wir befürchten müssen, dass sie abgeschoben wurden. Der Druck und die Zukunftsängste, die auf den geflüchteten Kindern lasten, machen ein unbeschwertes Aufwachsen unmöglich. Auch für nicht-geflüchtete Kinder aus dem Kidsklub Purpur ist es verstörend, wenn immer wieder Kinder aus ihrer Mitte gerissen werden. 
Wir sind der festen Überzeugung, dass es für ein angstfreies Aufwachsen eine Zukunftsperspektive für geflüchtete Kinder in Deutschland braucht – so auch für Antonio. Wir Falken setzen uns für die Rechte und das Wohlergehen von Kindern ein. Kinder mit  Fluchthintergrund  sind  besonders  schutzbedürftig.  Unser  Bestreben  ist  es  dazu beizutragen,  gerade  diesen  Kindern  ein  Aufwachsen  im  Sinne  des  allgemeinen Kindeswohls zu ermöglichen. Eine Abschiebung von Antonio würde sein Wohlergehen massiv  gefährden.  Auch  für  die  inkludierenden  Maßnahmen  des  Kidsklub  Purpur  und die beteiligten Kinder wäre eine Abschiebung von Antonio ein herber Rückschlag. Antonio muss bleiben!

Keine Abschiebungen von irgendwem

Wir halten nichts von einer Staats- und Wirtschaftspolitik, in welcher Nationalstaaten auf der einen Seite global agieren und auf der anderen Seite versuchen, unliebsame Menschen aus den jeweiligen Nationalgrenzen rauszuhalten – notfalls mit Gewalt. Das Massengrab im Mittelmeer ist der krasseste Ausdruck dieser menschenverachtenden Politik. Wir finden, eine Gesellschaft, die von sich behauptet, es nicht zu schaffen, Menschen in Not aufzunehmen, gehört grundlegend überarbeitet. Die allgemeine Not spricht für uns nicht gegen die Menschen in Not, sondern gegen diese Gesellschaft.

Antonio und Vladimir brauchen eine Zukunft

Antonio und Vladimir brauchen eine Chance – eine Chance auf eine Zukunft. Diese Zukunft wird ihnen in Mazedonien als Romnja verunmöglicht – ebenso verunmöglicht wird sie im derzeitigen Dauerzustand des Wartens und Angst-Habens. Wir möchten uns dafür einsetzen, dass diese Angst genommen wird. Wir möchten, dass Antonio und Vladimir die Chance erhalten, Durchzuatmen und Kraft zu haben – für die Ausbildung von Antonio, für Deutschkurse und einen beruflichen Werdegang für Vladimir. Und wir möchten unsere Freunde nicht verabschieden müssen. 

Falken Erfurt

Quellen:
https://zentralrat.sintiundroma.de/roma-auf-dem-westbalkan-und-in-der-tuerkei-sind-durch-die-covid-19-pandemie-ernsthaft-bedroht/

https://www.ggua.de/themen/hintergrund-situation-von-rueckkehrern-nach-serbien-und-mazedonien/