Veranstaltungsreihe Klassenbewusstsein im April 2017

Klasse – Fetisch – Kritik

Freitag, 14.04.2017 – 19:30 Uhr

Mit Robert Fechner

Georg Lukács Aufsatzsammlung „Geschichte und Klassenbewusstsein“ stellt den ersten marxistischen Versuch dar, die marxsche Waren und Fetischkritik zumAusgangspunkt der eigenen Kritik zumachen. An entscheidenden Punkten revidiert Lukács aber in seiner Verdinglichungskritik die Fetischkritik, so dass ihm auch im Angesicht des Scheiterns der Revolution in Europa die Hintertür zu einer Revolutionstheorie geöffnet bleibt: das Proletariat als Subjekt-Objekt der Geschichte verfügt Lukács zufolge über eine vermeintlich besondere Erkenntnisposition.

Indemder Vortrag die Revidierungen bei Lukács herausarbeitet, möchte der Vortrag sogleich das komplexe Verhältnis von Fetischismus, Klassenbewusstsein,  Ideologie und Kritik in groben Zügen bestimmen.

 

Geschichte und Klassenbewußtsein, heute

Samstag, 22.04.2017 – 19:30 Uhr

Mit Roger Behrens

1923 erscheint das Buch ›Geschichte und Klassenbewusstsein‹ von Georg Lukács; in dem dicken Band sind Aufsätze versammelt, die der ungarische Philosoph vor einhundert Jahren verfasste. Nicht zuletzt durch die in diesem Band entfaltete Theorie der – klassenspezifischen – Verdinglichung hat ›Geschichte und Klassenbewusstsein‹ maßgeblich die Entwicklung der kritischen Theorie imzwanzigsten Jahrhundert beeinflusst. Einige Gesichtspunkte der hier anschließenden Debatten sollen im Vortrag beleuchtet werden: Adornos Reflexionen zur Klassentheorie, Marcuses Überlegungen zur Rolle des – konsumgesellschaftlich integrierten – Proletariats im Spätkapitalismus sowie neuere Theorien zurMultitude (Hardt / Negri) und anderen Handlungsakteuren werden diskutiert.

Im Zentrumsteht die Frage, ob »Klassenbewusstsein« noch ein politisch-praktischer oder analytisch-theoretischer Begriff ist,mit dem emanzipatorische Herrschaftskritik gesellschaftlich gefasst werden kann.

 

Class of ’16 – Zum Stand des Unbewusstseins in der klassenlosen Klassengesellschaft

Donnerstag, 27.04.2017 – 19:30 Uhr

Mit Lars Quadfasel

Spätestens seit dem Untergang der Sowjetunion schien auch die Arbeiterklasse wie vomErdboden verschwunden. Selbst der Kassierer oder die Call-Center-Mitarbeiterin firmierten als Ich-AGs und Arbeitskraftunternehmer, und wer noch vom Proletariat sprach, gab sich als unverbesserliches Fossil zu erkennen.
Seit letztemJahr aber ist alles anders. Mit Brexit und Trump, so der allgemeine Tenor, habe die Arbeiterklasse sich mit Aplomb auf der politischen Bühne zurückgemeldet – wenn auch nicht mit schwieliger Proletenfaust, sondern eher mit ausgestrecktem Mittelfinger. An denWahlurnen, schlägt sich der Leitartikel selbstanklägerisch an die Brust, habe der kleine Mann erfolgreich Rache an den Eliten genommen, die dessen Sorgen und Nöte so lange missachtet hätten, und Rührstücke über das Elend der Abgehängten und Entrechteten haben Hochkonjunktur. Alle scheinen einig darin, dass proletarische Revolte heute genau das heißt: sich selber ins Knie zu schießen und hoffen, dass es anderen nochmehr weh tut.

Was das aussagt über das Bild der Proleten von sich selbst, und das der Gesellschaft von ihrem Proletariat, darüber soll es in dem Vortrag gehen.

Die Tatsache, dass überraschend viele Proleten (oder, umgenauer zu sein: weiße Proleten) für den EU-Austritt Großbritanniens und den Reality-TV-Faschisten gestimmt haben, hat den praktischen Nebeneffekt, dass über die Verantwortung anderer gesellschaftlicher Schichten für das Debakel kaum mehr gesprochen werden muss. Dabei wäre all das Anlass genug, sich weit mehr Sorgen über den Geisteszustand der Bourgeoisie als den des Proletariats zumachen: Wasin aller Welt hat es zu bedeuten, wenn die herrschende Klasse willens ist, ihre Geschäfte einem Kasper wie Trump anzuvertrauen – oder, vielleicht noch besorgniserregender: nicht in der Lage ist, einen solchen Unsinn zu verhindern?

Eine revolutionäre Situation besteht nach Lenin, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Was aber, wenn es umgekehrt ist – wenn die da oben ihrer Herrschaft überdrüssig sind, aber die unten sie nicht gehen lassen wollen? Auch darüber wird zu reden sein.