Beim internationalen Kampftag der Arbeiter*innen waren wir gemeinsam mit der Linksjugend [’solid] mit einem Beitrag vertreten! Unsere Perspektive auf die Arbeitswelt und die Gesellschaft…
Viele von euch stehen jedes Jahr am 1. Mai auf der Straße. Einige von uns engagieren sich das ganze Jahr über, jeden Monat, jede Woche, manche jeden einzelnen Tag – gegen die Zumutungen einer Arbeitswelt und einer Gesellschaft, in der es bei dem, was man tut, selten um die eigenen Bedürfnisse und Interessen geht und in der die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit stets nur daran gemessen wird, ob sie für Andere Profit realisiert.
Wir haben die Schnauze voll davon, mit unserer Arbeit den Wohlstand der Reichen zu finanzieren. Mit unseren überteuerten Mieten die Dividenden von Aktionären zu speisen und gleichzeitig jetzt schon zu wissen, dass wir im Alter in Armut leben werden, weil der Sozialstaat in neoliberaler Manier fortlaufend entkernt wird.
Ja, jedes Jahr stehen wir aufs Neue hier. Und die meisten unserer Formulierungen klingen totgedroschen. Das macht sie aber nicht weniger relevant. Es ist notwendig den Mund aufzumachen, die Stimme zu erheben, sich solidarisch zusammenzutun. Dem Chef oder der Chefin zu sagen, dass man nicht dafür verantwortlich ist, dass es zu wenig Personal gibt, sondern die miesen Arbeitsbedingungen!
Es braucht Mut, den Mund aufzumachen, wenn in der Bahn oder auf dem Anger wieder jemand den unglaublichsten rechten Quatsch erzählt. Es braucht Mut, um die Stimme zu erheben für die Schwächeren oder für sich selbst. Dazu müssen wir uns gegenseitig bestärken! Nur so ist es keine leere Worthülse, zu sagen, dass wir aus der Geschichte lernen können. Ob als Arbeiter*in, als Gewerkschafter*in, als politisch interessierte oder organsierte, als Antifaschist*innen, … als Menschen.
Der erste Mai ist ein Internationaler Kampftag. Seit rund 135 Jahren streiten Arbeiter*innen für bessere Arbeitsbedingungen auf den Straßen und vor den Fabrikhallen! Was sie konkret bewegt, hat sich über die Jahre verändert, aber eins steht fest: Viele Dinge, die uns heute selbstverständlich vorkommen, sind Errungenschaften unserer Kolleg*innen und Genoss*innen in der Vergangenheit. Deshalb streiten wir auch heute für das, was Vielen unmöglich erscheint: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Vier-Tage-Woche, mehr Freizeit, bessere Bezahlung, einen funktionierenden Sozialstaat und mehr Mitbestimmung im Betrieb.
Uns ist auch klar, dass es mit einer Demonstration wie der jetzigen nicht getan ist – denn die Verhältnisse haben sich zugespitzt.
Mit der Wohlstandsgesellschaft der 50er und 60er Jahre verschwand vielerorts das Gefühl sich als eine Klasse der Lohnabhängigen zu identifizieren und als solche gemeinsam für ein besseres Leben zu kämpfen. Der Wohlfahrtsstaat trat an die Stelle einer klassenpolitischen Orientierung.
Als jedoch in den 1970ern der Nachkriegskapitalismus in eine tiefe Krise fiel, wurde der Wohlfahrtsstaat durch die sich radikalisierenden neoliberalen und konservativen Kräfte als Hauptverursacher dieser Krise ausgemacht. Es folgten Deregulierung und der beginnende Abbau des Wohlfahrtsstaates, sowie ein Bruch der neuen Sozialdemokratie mit den Gewerkschaften. Die Konsequenzen zerschlagener politischer und kultureller Organisationszusammenhänge der Arbeiter*innenschaft sind heute mehr denn je zu spüren: An die Stelle von Solidarität ist eine fragmentierte Gesellschaft getreten, in der kaum jemand einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Schicksal und dem des Anderen sieht. Das Mantra der Leistungsgesellschaft spielt noch die Schwachen gegen die Schwächsten aus!
Neoliberaler Finanzmarktkapitalismus sorgt für mehr und mehr soziale Spaltungen zwischen Lohnabhängigen: Die Demontage des Sozialstaates in den letzten Dekaden sorgt für Abstiegsangst und damit für eine Entsolidarisierung zwischen Menschen im Niedriglohnsektor und denjenigen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
Wir sehen aktuell aber: Es kommt zu einem Wiedererstarken der Gewerkschaften. Und es gibt starke, nie dagewesenen Allianzen, wie beispielsweise „Wir Fahren Zusammen“. Beschäftigte des ÖPNVs und Klimaaktivist*innen haben sich bundesweit für den gemeinsamen Kampf zusammengeschlossen. Für bessere Arbeitsbedingungen, besseren Lohn und eine gerechte Energiewende mit funktionierenden und flächendeckendem ÖPNV. Das zeigt, dass viele bereit sind zu kämpfen!
Gleichzeitig stand lange nicht so viel auf dem Spiel wie heute:
Die Bedrohung von rechts ist größer denn je. Unterstützung finden die Faschisten ironischerweise auch unter den Lohnabhängigen, deren Leben sich durch ihre Politik weiter verschlechtern würde. Und auch unter jungen Menschen ist die Zustimmung zu faschistischen Positionen erschreckend hoch. Faschismus ist nicht bloß die Sache alter weißer Männer, sondern – wenn wir nicht aufpassen – die Zukunftsmusik!
Es gilt deshalb, klar gegen rechte Propaganda einzutreten und deutlich zu machen, dass nicht diejenigen an den kapitalistischen Zumutungen schuld sind, die andauernd dafür verantwortlich gemacht werden, wie beispielsweise Migrant*innen und die vermeintlich faulen Arbeitslosen, sondern die menschenfeindliche Verfasstheit dieser Gesellschaft, in der eine global existierende Arbeiter*innenklasse allerorten den Reichtum ihrer Ausbeuter produziert!
Wir wissen, dass es für Viele einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Ein System, dass Arbeit zu Zwang werden lässt und Glück zur Utopie. Ein System, in dem Unterdrückung eine notwendige Komponente ist. Ein System, das den Menschen nicht schätzt, sondern nur seine Produktivität.
Dass aber das vermeintlich Unmögliche doch möglich ist, zeigt die Geschichte des 1. Mai und der Kämpfe der Arbeiter*innenbewegung: Dass in den 50er Jahren sechs Tage in der Woche gearbeitet wurde, hat der eine oder die andere vielleicht schon vergessen. Es zeigt aber: Auch die Vier-Tage-Woche ist nicht utopisch. Sie den Arbeitgebern im Streit, um ein besseres Leben für uns und alle abzutrotzen ist notwendig!
Sich Freizeit zu wünschen, Zeit für die Familie, für Freund*innen und für Hobbies, ist keine naive Utopie – sondern Ausdruck des Wunsches nach einem guten Leben, das uns noch immer kollektiv verwehrt ist. Sich Freizeit leisten zu können, darf keine Sache derjenigen sein, die es gerade so schaffen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, indem sie auf Lohn verzichten. Diejenigen, die eh schon zu schlecht verdienen, den Buckel krumm machen und mühsam versuchen, die Anforderungen des Alltags irgendwie zu bewältigen. Schließt euch zusammen gegen Ausbeutung und die drohende faschistische Barbarei – heute am kämpferischen 1. Mai!