Gestern Nachmittag wurde Irene B. (75) von einem Mob ehrenamtlicher Einkaufshelfer*innen in einem Supermarkt zu Tode getrampelt. Beteiligte sprechen von einem tragischen Unfall.
Vor dem Supermarkt stehen Kerzen und Blumensträuße, auf dem Boden sind Markierungen angebracht, damit Schaulustige den empfohlenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einhalten. “Wir wollten Irene helfen”, erklärt Stefan B., Mitbegründer der Nachbarschaftsinitiative #helpyourelders. “Wir wollten sie davon abhalten, den Supermarkt zu betreten um sie vor dem Coronavirus zu schützen. Leider gibt es aktuell ein Übermaß an Helfer*innen. Auf 500 Helfer*innen in unserer Telegram-Gruppe kommt etwa eine Person, die um Hilfe bittet. Unsere Leute sind motiviert und entschlossen. Gestern schossen sie dabei etwas über das Ziel hinaus”. Stefan versucht, trotzdem das Positive daran zu sehen: “An Corona wird Irene jedenfalls nicht mehr erkranken. Klar, wenn jetzt jemand der Beteiligten in den Knast kommt, ist das blöd. Gleichzeitig erleichtert es Social Distancing natürlich extrem. Wenn einige in den Knast gehen und einige eine Soli-Gruppe gründen, ist auch das Problem mit der Überkapazität an Helfer*innen dadurch gelöst”.
Trotz kleinerer Pannen wie dieser ist auch Lena E. von der Telegram-Gruppe #Nachbarnhelfen frohen Mutes. “In den letzten Wochen konnten wir einen unglaublichen Anstieg ehrenamtlicher Aktivität und Hilfsbereitschaft beobachten”. Lena war schon vor Corona in der Essensrettung engagiert: “Wir bewahren Essen davor, weggeworfen zu werden”. Das Coronavirus hat sich dabei als ein Segen erwiesen: “Einerseits haben viele Studierende jetzt Zeit, zu helfen. Sie fahren Bäckereien und Supermärkte ab und helfen in der Essensausgabe unsereres kleines Ladens. Gleichzeitig sind viele Menschen aufgrund des Coronavirus in Kurzarbeit und sind mehr auf Almosen angewiesen. Auch Obdachlose haben aufgrund des ruhenden öffentlichen Lebens weniger Bargeld zur Verfügung. So werden wir unsere Sachen besser los und weniger wird weggeschmissen!”
Dort, wo Linksradikale in den Nachbarschaftsinitiativen aktiv sind, geht es nicht nur um Umverteilung, sondern auch um eine Reorganisation der Produktion. “Viele Studierende gehen zum Spargelstechen in die Landwirtschaft – unbezahlt, versteht sich! Wir wollen die Landwirte in Krisenzeiten nicht unnötig belasten, oder unser Verhältnis zu Ihnen durch Geld definieren. Das finden wir unemanzipatorisch. Klar, verkaufen die den Spargel dann trotzdem und machen Profit. Aber die Anerkennung gilt uns – und die kann man sich von Geld nicht kaufen!”, grinst Ludwig M. zufrieden. “Früher haben die Leute mir eine geklatscht, wenn ich sie voll gelabert habe. Jetzt klatschen sie für mich”. Auch Ehrenamtliche eines geschlossenen Kindertreffs bringen sich mit kreativen Lösungen in die Nachbarschaftshilfe ein. Eine Ehrenamtliche, die anonym bleiben will, erzählt: “Wir mussten unseren Laden erstmal dichtmachen, als auch die Schulen geschlossen wurden. Aber dann ist uns eingefallen, dass Arbeiten ja erlaubt ist. Die Kinder machen jetzt unbezahlte Schülerpraktika bei uns. Wir haben unseren Kindertreff in einem Sweatshop umgewandelt und verarbeiten alte Brötchen, die von der Essenspende nicht abgeholt wurden, in Paniermehl oder Croutons. Damit entlasten wir nicht nur die Eltern und geben den Kindern eine sinnvolle Beschäftigung, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt deutscher Essenskultur in der Krise – und das regional und nachhaltig”.
Man sieht, das subversive Potential der #Coronahilfe ist gewaltig. “Wir werden ganze Bereiche dem Markt und dem Staat entreißen, in dem wir diese ehrenamtlich re-organisieren” heißt es in einem anonymen Manifest auf Indymedia. Die Revolution steht kurz bevor.