Redebeitrag zum Frauen*kampftag 2024

Sexuelle Bildung ist Antifaschismus

Sexuelle Bildung ist Antifaschismus!

Wir sind die Sozialistische Jugend – Die Falken.

Wir arbeiten sowohl in unserem Kidsklub Purpur hier in Erfurt als auch auf unseren jährlich stattfindenden Zeltlagern mit Kindern und Jugendlichen.

Dass das diesjährige Motto des 8. März „Keine Bühne dem Faschismus“ lautet, begrüßen wir angesichts der erschreckenden politischen Entwicklungen der letzten Jahre ausdrücklich und wollen in unserem Beitrag versuchen, aus unserer pädagogischen Perspektive zu erläutern, warum der Faschismus auch für eine progressive sexuelle Bildung von jungen Menschen, wie wir sie in unserer verbandlichen Praxis versuchen voranzutreiben, einen unabsehbar großen Rückschritt bedeuten würde.

Ähnlich wie „Gender-Gaga“ gehört auch der Begriff „Frühsexualisierung“ mittlerweile zu den kulturellen Kampfbegriffen der Faschisten. Mit Hilfe dieser Begriffe gelingt es ihnen, ihre Anhänger*innen und alle, die es werden sollen, mittels übertriebener Emotionalisierung gegen einen vermeintlich vorherrschenden staatlich verordneten Feminismus aufzubringen. Doch während der Antifeminismus in der Hetze gegen das Gendern, die Frauenquote oder auch die Leugnung des Gender-Pay-Gap auf den ersten Blick offensichtlich sind, versteckt sich der regressive Gehalt der Kritik an „Frühsexualisierung“ hinter dem Anspruch, Kinder vor psychologischen Schaden und vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Hinter dem Begriff „Frühsexualisierung“ verbirgt sich jedoch nichts Anderes als der Versuch, eine progressive Sexualaufklärung junger Menschen ideologisch zu delegitimieren. Bereits 2016 bildete der Begriff das Leitmotiv in der Magdeburger Erklärung der AfD. Die Verfasser*innen der Erklärung wiesen auf die besondere „Prägefähigkeit“ von Kindern hin und befürchten den Verlust ihrer „Unschuld“, wenn sie zu früh – was das heißt, ist nicht definiert – mit Themen wie sexueller Vielfalt in Berührung kommen. Themen also, die auch bei Erwachsenen für die Verwirklichung der faschistischen Vorstellungen von Gesellschaft für die AfD eine Gefahr darstellen. Kinder werden hier folgelogisch in erster Linie als Träger von Nation und Volk begriffen – nicht als Subjekte, für deren Selbstbestimmung Erwachsene in ihrer Erziehung Sorge zu tragen hätten. Für die Verwirklichung der faschistischen Idee der deutschen Volksgemeinschaft ist es folgelogisch, die Fortpflanzung fürs Vaterland in den Mittelpunkt aller erzieherischen Überlegungen zu rücken und alles zurückzudrängen, was dieser Idee entgegensteht. Was zurückgedrängt werden soll, lässt sich sowohl in Geschichtsbüchern als auch dieser Magdeburger Erklärung entnehmen: vielfältige Vorstellungen von Familie oder auch die offene Auseinandersetzung mit dem eigenen Begehren. So bezeichnet die AfD in ihrer Erklärung die Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ und verkündet in gewohnt antiliberaler Weise, dass mit Blick auf den Sexualkundeunterricht in Schulen „nicht Triebbefriedigung“, sondern „eine intakte Familie als primäres Lebensziel“ zu propagieren sei.

Was aus einer solchen Vorstellung von Sexualerziehung folgen würde (und historisch auch über Jahrzehnte folgte), ist offensichtlich. Eine altersgerechte Aufklärung über Körper und die eigenen Grenzen wird verhindert – Kinder erlernen Sexualität und ihre Körperteile, die mit Sexualität assoziiert werden, vor allem als Tabu. Wer aber seine Grenzen nicht kennt oder nicht sprachfähig ist, wenn es um die eigenen Genitalien geht, weil es schmutzig ist, kann Grenzen schlechter artikulieren. Scham verhindert das Sprechen über Grenzüberschreitungen. Scham verhindert, mit der eigenen Körperlichkeit, dem sexuellen Begehren und allen Widersprüchen, die dazu gehören, selbstbestimmt umzugehen. Das trifft junge Menschen, die von der mit viel Gewalt durchgesetzten und auch von der AfD propagierten cis-heterosexuellen Norm abweichen, noch einmal besonders hart. Jugendliche, die nicht heterosexuell begehren, fremdeln mit ihrer eigenen Sexualität, erleben Diskriminierung und entwickeln schlimmstenfalls psychische Probleme und selbstverletzendes Verhalten. Jugendlichen, die sich als trans begreifen, wird das Existenzrecht abgesprochen, da ihre Geschlechtsidentität als bloße „Laune“ diffamiert wird. Junge Mädchen wachsen weiter unter einem ständigen Druck sexueller Verfügbarkeit für Männer auf, während die Entdeckung und Reflexion des eigenen Begehrens hintenansteht. Sie werden für Ehe, Familie und Vaterland instrumentalisiert.

Wir Falken streiten deshalb für eine progressive, d.h. radikal antifaschistische Sexualpädagogik!

Im Kindesalter bedeutet dies eine altersgerechte Aufklärung über körperliche Begriffe, statt die Erziehung zur Scham darüber, was auch immer man zwischen den Beinen hat. Es bedeutet die Aufklärung über vielfältige Familienmodelle. Es bedeutet die Befähigung zur Artikulation über eigene Bedürfnisse und körperliche Grenzen. Es bedeutet zu vermitteln, was Erwachsene dürfen und was sie nicht dürfen. Eine einfache „freie Sexualität“, wie sie zum Teil unter der 68er-Bewegung propagiert wurde, greift dabei zu kurz. Sie ignoriert, wie gewaltdurchzogen Sexualität heute noch ist. Auch eine biologistische Aufklärung, die sich darauf beschränkt, jungen Menschen die Funktionsweise menschlicher Fortpflanzung zu erläutern, reicht nicht aus. Patriarchale Verhältnisse prägen noch immer das Aufwachsen von Jungen und Mädchen, deren Wahrnehmung des eigenen Begehrens und die Möglichkeiten des Ausdrucks der eigenen Sexualität. Darauf muss reflektiert werden, wenn jugendliche und weibliche Selbstbestimmung bestärkt werden sollen. „Nein heißt nein“, bleibt ohne die Integration dieses Prinzips in die praktische pädagogische Arbeit mit Jugendlichen nur eine hohle Phrase! Progressive Aufklärungsarbeit ist ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, Konsens als Grundlage sexueller Handlungen gesellschaftlich zu manifestieren, Heteronormativität zu hinterfragen und jungen Menschen zu vermitteln, dass weiblichem und queerem Begehren genau die gleiche Relevanz zukommen muss wie dem von Jungen und Männern, wenn wir einer gleichberechtigten Gesellschaft insgesamt einen Schritt näher kommen wollen.

All diese Überlegungen müssen Faschisten notwendig ein Dorn im Auge sein, weil Faschisten darauf zielen, junge Menschen für ihre Volksgemeinschaft zuzurichten!

Die Familie, wie die AfD sie denkt, ist nicht die Keimzelle der Gesellschaft, sondern die des Faschismus und der Volksgemeinschaft.

Deswegen lasst uns für eine lustvolle und von unseren Bedürfnissen geleitete Sexualbildung streiten und da, wo Staat und Institutionen diese nicht leisten, diese Bildung selbst in die Hand nehmen!